Am 3. März 2016 brachte die Piratenfraktion im Plenum den Antrag „Für einen besseren Arbeitsmarktzugang und Arbeitsmarktförderung für Geflüchtete in Berlin“ ein – ein Thema, welches mir schon lange sehr am Herzen liegt und zu dem ich folgende Rede hielt:
Um so bedauerlicher ist es, dass der Antrag von den meisten KollegInnen im Abgeordnetenhaus offensichtlich entweder nicht verstanden oder nicht richtig gelesen worden ist.
Im Folgenden werde ich auf einige im Plenum geäußerte – meiner Ansicht nach völlig unzutreffende – Kritikpunkte am Antrag eingehen und diese widerlegen:
- Wenn es, so die SPD, zwischen dem Bund und den Ländern Gespräche bezüglich der im Antrag vorgeschlagenen Gesetzesänderungen auf Bundesebene gibt, dann soll der Senat erläutern, welche Position er dort vertritt und wie stark er sich bemüht, sie durchzusetzen.
- Zum Vorwurf der SPD, dass die Arbeitsagentur nicht für die Arbeitsgelegenheiten zuständig sei: Die Bundesagentur für Arbeit hat als Träger, zusammen mit dem Land Berlin, für die gemeinsame Einrichtung der Jobcenter eine gemeinsame Zuständigkeit für die Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II. Das Land Berlin bzw. seine Behörde, das LAGeSo, ist für die Arbeitsgelegenheiten nach § 5 AsylbLG zuständig. Also sind sowohl die Arbeitsagentur als auch das Land für das Thema Arbeitsgelegenheiten (für Bezieher von unterschiedlichen Leistungen – Hartz IV oder Asylbewerberleistungen) Ansprechpartner, es ist also nicht verkehrt, von beiden eine gemeinsame Initiative zu erwarten.
- Zur Behauptung der SPD, es werde alles schon gemacht: In Punkt 1 unseres Antrags geht es darum, dass die beteiligten/zuständigen Akteure die Maßnahme der Arbeitsgelegenheiten verstärkt nutzen bzw. das bestehende Angebot ausweiten. Wir wollen auch, dass das konzeptionell, systematisch, durchdacht passiert, dass also dafür ein gemeinsames Konzept/Programm der beteiligten/zuständigen Akteure erarbeitet wird, mit dem man das bestehende Angebot ausweitet. Dazu müsste noch sehr viel unternommen werden, z.B. müsste mit potenziellen gemeinnützigen Trägern Kontakt aufgenommen werden, damit mehr Träger Arbeitsgelegenheiten anbieten, es müsste viel mehr Geld dafür zur Verfügung gestellt werden (die Arbeitsagentur hat ja einen hohen Überschuss!), es müsste bei den Flüchtlingen aktiver dafür geworben werden, es müsste das Job-Coaching ausgebaut werden (laut des Berliner Verbands für Arbeit und Ausbildung ist das bestehende Angebot der Job-Coaches nicht mal für die Langzeitarbeitslosen ausreichend – und das obwohl es im Rahmen der letzten Haushaltsberatungen aufgestockt wurde!), etc.
- Zum Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz Berlin (BQFG Bln) – nirgendwo haben wir behauptet, dass allein die Schaffung von gesetzlichen Fristen für irgendwelche Verfahren die Lösung des Problems ist. Außerdem haben wir doch klar gemacht, dass diese Frist (3 Monate) schwarz auf weiß im Gesetz steht, man muss also das Gesetz in dieser Hinsicht gar nicht ändern. Für diese Frist gibt es jedoch Ausnahmen, wenn z.B. begründete Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen bestehen. Und im Falle der Geflüchteten gibt es überhaupt keine Begrenzung dieser Fristhemmungen. Das Ziel ist und soll deswegen sein, die Fristhemmungen zu reduzieren, so dass die zuständige Stelle (möglichst!) die 3-monatige Frist für die Dauer der Verfahren einhalten kann, und somit eine der Hauptvorschriften des Gesetzes tatsächlich umgesetzt werden kann. Dafür sollte, wie in unserem Antrag steht, eine qualifizierte Beratung zu Voraussetzungen, zu notwendigen einzureichenden Unterlagen etc. im Vorfeld der Antragsstellung gewährleistet werden. Die bestehenden Strukturen sollen für diesen Zweck genutzt bzw. optimiert werden.
- Zusätzlich sollte auch für die Geflüchteten die Beschränkung der Fristverlängerung auf eine einmalige Verlängerung um einen Monat gelten – nicht nur für die EU-BürgerInnen oder BürgerInnen aus einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz – damit alle gleich behandelt werden.
- Seitens der SPD gab es die Information, dass das Problem mit dem fehlenden Schulabschluss bereits durch den Senat BildJugFam gelöst sei, da die nicht mehr regelschulpflichtigen Geflüchteten ohne Schulabschluss eine zweijährige Berufsausbildung absolvieren könnten. Auf Nachfrage von Frau Breitenbach konnten aber keine genaueren Informationen gegeben werden. Unabhängig jedoch davon, ob und inwiefern das stimmt, ist doch eine zweijährige Berufsausbildung keine Schulausbildung! Daher hat unsere Forderung Nr. 4 des Antrags nach wie vor Bestand.
- Die CDU behauptete außerdem, dass das Problem des fehlenden Schulabschlusses durch die Wilkommensklassen gelöst sei. Das ist wieder ein Missverständnis. Wir haben im Antrag doch ganz klar über Menschen geschrieben, die nicht mehr regelschulpflichtig sind. Die Willkommensklassen sind aber nur für die noch regelschulpflichtigen geflüchteten Jugendlichen vorgesehen.
- Sowohl die Grünen als auch die CDU haben sich auf die Zahlen der Arbeitsagentur bezogen, nach denen bei den Geflüchteten fast 80 % überhaupt keine Qualifikationen besitzen. Diese Zahlen sind aber überhaupt nicht aussagekräftig!!! Wenn 2014 23,3 % der AsylbewerberInnen in Deutschland zwischen 18 und 25 Jahren, 15,4 % zwischen 25 und 30 Jahre, 31,7 % jünger als 18 Jahre und ca. 1 % älter als 65 Jahre waren (siehe z.B. hier auf S. 21), dann kann man doch davon ausgehen, dass fast 2/3 von den 80 % ohne Qualifikationen, also 60 % der jobsuchenden Flüchtlinge, sich in einem Alter befinden, in dem sie nicht mal die Möglichkeit hatten, irgendwelche Berufsqualifikationen zu erwerben, Berufserfahrung zu sammeln, zu studieren, oder sogar die Schule abzuschließen. Der Qualifikationsstand in dieser Altersgruppe der Geflüchteten dürfte daher bis zu einem gewissen Grad vergleichbar mit dem Qualifikationsniveau gleichaltriger Deutscher sein. Deswegen haben wir in unserem Antrag klar gemacht: Schulabschlüsse und berufliche Bildung und Ausbildung sollten gewährleistet, bzw. die dazu bestehenden Barrieren abgebaut werden. Die Menschen, die aufgrund ihres Alters ohne Qualifikationen nach Deutschland gekommen sind, müssen solche Qualifikationen hier erwerben können. So einfach ist das!
- Zum Bleiberecht für Auszubildende und Erwerbstätige: Die CDU meinte uns vorwerfen zu müssen, dass wir wollten, dass dann alle AsylbewerberInnen letztendlich in Deutschland bleiben würden . Abgesehen davon, dass nicht alle in Deutschland Ausbildung oder Arbeit finden, zeigt jemand, der/die hier Ausbildung oder Arbeit findet, ganz eindeutig, dass er/sie nicht wegen der Sozialleistungen nach Deutschland gekommen ist und dass er/sie hier sein Leben aufbauen möchte und auch dazu auch in der Lage ist. Es sollte im Interesse des Sozialstaates und der Wirtschaft sein, diese Leute in Deutschland zu behalten.
- Zu den Wohnsitzauflagen: Die CDU hat behauptet, dass ohne Wohnsitzauflagen alle Geflüchteten in die großen Städte ziehen würden. Na und? Sie werden dorthin ziehen, wo es Arbeit und gute Wohnmöglichkeiten gibt. Kommunen, die diese Möglichkeiten bieten, werden von dem Zuzug von ArbeitnehmerInnen profitieren. Die freie Mobilität der ArbeitnehmerInnen verstärkt die Konkurrenz um die besten Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten zwischen Kommunen. Das sollte doch in unser aller Interesse sein!
- Zu den Ein-Euro-Jobs und der Kritik der Linken: Diese Arbeitsgelegenheiten würden sonst nie entstehen, folglich hätten viele Arbeitslose und Geflüchtete nicht die Möglichkeit, wenigstens gemeinnützig tätig zu sein. Diese Möglichkeit ist insbesondere für die Geflüchteten von Bedeutung, weil viele von ihnen erstens noch kein deutsch oder englisch können und/oder keine oder geringe Qualifikationen haben und/oder noch auf die Anerkennung ihrer Abschlüsse warten und/oder das deutsche Arbeitssystem und die Gesellschaft noch nicht kennen. Eine gemeinnützige Tätigkeit, die noch dazu geringfügig vergütet ist, bietet die Möglichkeit, viele dieser Defizite abzubauen oder wenigsten dazu beizutragen (z.B. Spracherwerb) bzw. die Anerkennung der Abschlüsse abzuwarten und parallel etwas Sinnvolles für sich und die Gesellschaft zu machen. Das ist keine Arbeit zur Sicherung des Einkommens, sondern, wie der Name verrät, eine Arbeitsgelegenheit. Nicht nur deswegen ist sie nicht sozialversicherungspflichtig. Die berechtigten Menschen erhalten doch Hartz IV oder Asylbewerberleistungen, die ihre Existenz sichern sollen, einschließlich einer Kranken- und Pflegeversicherung. Diese Leistungen sind natürlich zu niedrig, um die Existenz zu sichern. Außerdem sind ihre Bezieher nicht rentenversichert. Aber eben darauf sollte das Augenmark und die Kritik gerichtet werden, nicht auf die Arbeitsgelegenheiten an sich, weil sie doch ein sehr gutes Arbeitsmarktinstrument sein können, insbesondere für geflüchtete Menschen.
Ich persönlich finde es sehr schade, dass ein so sinnvoller Antrag kaum auf Resonanz im Plenum stieß. Die Umsetzung seiner Inhalte würde nicht nur die Situation der Geflüchteten, sondern auch die gesamtgesellschaftliche Situation positiv beeinflussen.