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Ist der Senat noch zu retten? Karneval der Kulturen erneut Spielball der Politik

Der Karneval der Kulturen ist seit mittler­weile über zwanzig Jahren eine feste polit-kultu­relle Insti­tution und touris­tische Attraktion in Berlin. Das macht ihn auch zum Spielball politi­scher und persön­licher Inter­essen. Organi­siert wird er seit zwei Jahrzehnten von einem Organi­sa­ti­onsteam über den Träger Werkstatt der Kulturen. Die Werkstatt ist über einen Beirat PM_KdK_Konzept­dialog organi­siertes Haus in Neukölln, das zu großen Teilen über öffent­liche Mittel finan­ziert wird. (Zu Struktur und Finan­zierung der Werkstatt hier ein aktueller Bericht) Das Organi­sa­ti­onsteam arbeitete schon lange in der selben Besetzung. Die Finan­zierung erfolgt aus Dritt­mitteln, Stand­ge­bühren und einem seit langem konstanten Betrag von €270.000 / Jahr aus öffent­lichen Mitteln. Für weitere Bedarfe, wie einen Karne­vals­fonds, der den Gruppen ihre Organi­sation vor erleichtern soll, weigerte sich der Senat stets zusätz­liche Mittel bereit zu stellen. Die Haupt­arbeit tragen die Karne­vals­gruppen. Sie sind in der Regel ehren­amtlich Arbei­tende Wagen­or­ga­ni­sa­to­rInnen, ohne die nichts läuft. Sie waren bisher sehr unorga­ni­siert, haben aber kürzlich einen Beirat gegründet, der die Gruppen vertritt.

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Karneval der Kulturen in Berlin Quelle: Michael Leps / pixelio.de

Durch den ständig wachsenden Zustrom an Besuche­rInnen und negative Erfah­rungen mit Großer­eig­nissen – nicht zuletzt den Ereig­nissen der Love Parade in Duisburg 2013 – war klar, dass der Karneval neu konzep­tio­niert werden muss, mit Fokus auf Erwei­terung der Sicherheit. Die Chefin der Werkstatt der Kulturen, Philippa Ebene, ließ daher zeitnah nach dem 2014er-Karneval ein Sicher­heits­konzept für den Karneval entwerfen, das finan­zielle Mehrbe­darfe im sechs­stel­ligen Bereich feststellte. Das Konzept lag dem Senat seit spätestens Herbst 2014 vor. Obwohl klar war, dass ohne zusätz­liche finan­zielle Mittel keine Möglichkeit bestehen würde, den Karneval sicher durch­zu­führen und weiter zu veran­stalten, ging man im Senat auf Tauch­station. Die Folge: Teile des Karneval-Organi­sa­ti­ons­teams glaubte nicht mehr, dass der Karneval noch gewollt war, fürchtete um ihre Arbeits­platz und hatte sich mittler­weile schon ander­weitig beworben. Erst als die Karne­vals­gruppen selbst aktiv wurden, Öffent­lichkeit herstellten, Petitionen starteten und vor dem Untergang des Karnevals warnten, regte sich was. Nach mehreren Monaten Gezerre stellte der Senat hastig zusätz­liche Mittel bereit, Kultur­pro­jekte GmbH wurde als neuer Träger statt der Werkstatt ins Spiel gebracht, mehrere frühere Organi­sa­to­rInnen, darunter Nadja Mau, kehrten zurück und über­nahmen das Karne­vals­büro und der Karneval 2015 fand erfolg­reich statt. In diesem Kontext spielte sich Senatorin Kolat dabei als Retterin auf, ohne ihr eigenes schuld­haftes Zögern, welches ja Auslöser für die Proble­matik. Dramatik und Dring­lichkeit war, in irgend­einer Form zu erklären oder zu thema­ti­sieren. Das Positive: Direkt im Anschluss an den 2015er-Karneval wurde ein Konzept­dialog ausge­rufen, der von den Karne­vals­gruppen, moderiert durch ein vom Senat bezahltes Team, durch­ge­führt werden sollte, und an dem der Senat als Gast teilnahm. (Hier der Bericht an den Haupt­aus­schuss vom 5.6. plus Folge­be­richt vom 1.9.)

Genug Gelegen­heiten also um aus der ganzen Sache etwas zu lernen, sollte man meinen. Bezüglich Sicher­heits­konzept, Karne­vals­grup­pen­fonds usw. Weit gefehlt. Das böse Erwachen kam dann im August. Als der Haushalt­s­entwurf des Senats (Band 6) erschien, war ich ziemlich erstaunt. Dem gerade erst „ge­ret­te­ten“ Karneval wurde vom Senat eine Gnaden­frist über ein Jahr gewährt. Die Werkstatt wurde wie bisher im Titel 68410 Parti­zi­pa­ti­ons­maß­nahmen auf S. 43 des Integra­ti­ons­haus­halts veran­schlagt. Der Karnval war nun ein eigene Titel namens „Sonstige Zuschüsse für konsumtive Zwecke im Inland (neu)“ auf S.48. Die notwen­digen €830.000 zur Finanierung aus öffent­lichen Mitteln, ohne die er nicht mehr durch­führbar ist, finden sich jedoch nur für das Haushaltsjahr 2016. Für das Haushaltsjahr 2017 werden ohne Erklärung wieder nur die €270.000 von früher einge­stellt.

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Das bedeutet ein Finan­zie­rungs­de­fizit von €560.000. Damit wäre der Karneval in seiner Substanz erneut gefährdet. Zwar beschließt nicht der Senat, sondern das Parlament den Haushalt, aber es erschien mir unwahr­scheinlich, dass die Koalition eine bewusste Senkung eines Titel durch den Senat korri­gieren würde. Auf unsere Nachfrage hin, wie dieses Finan­zie­rungs­de­fizit ausge­glichen werden soll, wurde uns am 24.9. ein Bericht geliefert, in dem zynischer­weise steht:

„Nach Pfingsten 2015 hat die Senats­ver­waltung für Arbeit, Integration und Frauen gemeinsam mit den Karne­vals­gruppen einen Konzept­dialog für den Karneval der Kulturen begonnen. Die Senats­ver­waltung für Arbeit kann diesem Dialog nicht vorgreifen, geht aller­dings davon aus, dass als Ergebnis des Konzept­dia­loges u.a. eine Verstärkung der finan­zi­ellen Mitteln durch Dritte (unter anderem Sponsoring) zu einer Reduzierung der vom Land Berlin zur Verfügung gestellten Mittel ab dem Jahr 2017 führen wird.“

Falls diese Aussage Bericht ernst gemeint ist, bedeutet dies, dass Senatorin Kolat
1. eine Erhöhung der jetzigen Dritt­mittel von €80.000 in Höhe von €560.000 (also um 700%!!) auf €640.000 anstrebt, was aus meiner Sicht einem Ausverkauf der Marke Karneval gleich käme,
2. von den unermüdlich und unent­geltlich ihre Freizeit opfernden Karne­vals­gruppen verlangt, dass sie sich zusätzlich um die Beschaffung dieser Dritt­mit­tel­fi­nan­zierung kümmern sollen und
2. der Konzept­dialog, der ja tragfähige Lösungen für die Zukunft des Karnevals in Zusam­men­arbeit mit den Gruppen finden sollte, nun gegen diese verwendet wird, indem er als Recht­fer­tigung dazu dient, die Finan­zierung erneut in Frage zu stellen.

Dabei ist das ganze unwürdige Gezerre auch wirtschaftlich absurd. Zwar könnte man sicher eine Erhöhung der Dritt­mittel im moderaten Bereich anstreben – notwendig ist das jedoch nicht. Schon 2011 veröf­fent­lichte die IBB eine Studie, gemäß der jeder in den Karneval inves­tierte Euro fünf Euro in die Stadt bringt. Die Hatz auf Dritt­mittel ist in diesem Lichte also mehr als zweifelhaft. Eine Kofinan­zierung durch den Kultur­senat wäre vielleicht zielfüh­render.

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Karneval der Kulturen in Berlin, Quelle: chris­tiaaane / pixelio.de


Am 1. Oktober fand dann die 2. Lesung des Haushalts im Integra­ti­ons­aus­schuss statt. Die entschei­dende Sitzung, um den Fehler wieder zu korri­gieren. Wer noch Zweifel an der Stimmung der Gruppen hatte, konnte sich über den im Vorfeld der Sitzung versandten offenen Brief davon über­zeugen. Die Taz berichtete dazu auch.

Doch obwohl SPD, CDU und Senat einhellig versi­cherten, der Karneval solle erhalten bleiben und in seiner Finan­zierung nicht gefährdet werden, lagen keine Ände­rungs­an­träge seitens der Koalition vor und unser Antrag zur Schließung der Finan­zie­rungs­lücke wurde von den Koali­ti­ons­frak­tionen bei Enthaltung der Grünen abgelehnt. Staats­se­kre­tärin Loth erklärte noch, dass es kurz nach der Ausschuss­sitzung eine Sitzung des Konzept­dialogs geben solle, auf der die Finan­zierung behandelt und im Anschluss entschieden werden solle. Hier das Protokoll der 2. Lesung im Integra­ti­ons­aus­schuss (Thema Karneval findet auf S.70.).

Alles steuerte also auf die 2. Lesung des Integra­ti­ons­haus­halts im Haupt­aus­schuss am 4. November hin, bis zu der sich die Koalition hätte besonnen haben können und der Konzept­dialog im Zweifel noch offene Fragen würde angeblich geklärt haben. Der Konzept­dialog war mittler­weile abgeschlossen (im Sinne von abgeschlossen!) (Hier die PM des Karne­vals­büros vom 29.10.). Dazu lieferte der Senat dann auch noch einen weiteren Bericht und damit auch das Ergebnis des Konzept­dialogs. Darin stand dann aber plötzlich folgendes:

„Ein Vorschlag für die künftige konzep­tio­nelle Gestaltung des Karnevals der Kulturen ist im Rahmen eines inten­siven Konzept­dialogs der Karne­vals­gruppen von diesen erarbeitet worden (siehe Anlage 1). […] Die Senats­ver­waltung für Arbeit, Integration und Frauen hat daher eine zweite Phase des Dialog­ver­fahrens vorge­schlagen, damit die Ergeb­nisse des Konzept­dialogs präsen­tiert und der Dialog mit ihr aufge­nommen werden können. Hiermit sind die Karne­vals­gruppen einver­standen. Im Rahmen des Konzept­dialogs sollte geprüft werden, wie verstärkt auf die Finan­zierung durch Dritte zurück­ge­griffen werden kann bzw. welche Kosten durch den Karneval der Kulturen aufgrund einer möglichen verän­derten Konzeption – wie z.B. einer möglichen Verklei­nerung – entstehen. Es wird eine Reduzierung der zur Verfügung gestellten Mittel angestrebt. Zu diesem Punkt sind im Rahmen des Konzept­dia­loges Ergeb­nisse erarbeitet worden, die dieses Ziel nicht hinrei­chend berück­sich­tigen.“

Über­setzt: „Die Karne­vals­gruppen haben ärger­li­cher­weise nicht den Ausverkauf des Karnevals beschlossen, deswegen müssen sie jetzt nachsitzen, bis sie das von uns gewünschte Ergebnis produ­zieren.“ Ach! Über­ra­schung! Hätte man sich ja auch nach dem Lesen des offenen Briefes denken können. Kaum noch erwäh­nenswert, dass während des Dialogs offen­sichtlich massiv Druck auf die Gruppen ausgeübt wurde und die Gruppen nichts von einer 2. oder 3. Phase wissen geschweige denn damit einver­standen sind. Das Ergebnis und damit ihre Position in dieser Frage findet sich ja auch im bereits erwähnten Bericht. Auf S. 8. Sponsoring wird befür­wortet, solange die Bedin­gungen dazu „mit dem nicht-kommer­zi­ellen Charakter und den ehtischen Grund­vor­stel­lungen des KdK vereinbar sind.“ Da unter diesen Bedin­gungen nicht mit einer 700%-igen Erhöhung der Dritt­mittel zu rechnen ist, soll der Landes­zu­schuss realis­ti­scher­weise in Zukunft „auch auskömm­lich“ sein.

In der gestrigen Sitzung sagte Senatorin Kolat uns auch, dass das Ergebnis der (von ihr frei erfun­denen) 2. Phase nicht im November zu erwarten sei. Auf Nachfrage, wieso die Ehren­amt­le­rInnen eigentlich Dritt­mittel einwerben sollen, erklärte sie dann, dies sei eigentlich Aufgabe des Trägers, der noch nicht ausge­wählt sei. Außerdem gebe es ja notfalls Mittel, die man bereit stellen könne. Und auch die CDU erklärte wiederum, sie wolle noch nach Mittel für die Schließung der Finan­zie­rungs­lücke Ausschau halten. Na dann, weidmanns heil! Die letzten Chancen für die Erhöhung des Titels sind jetzt die (nur unüb­li­cher­weise statt­fin­dende) 3. Lesung des Titels im Haupt­aus­schuss am 27.11. und die 2. Lesung und damit finale Verab­schiedung des Haushalts im Plenum am 10.12. Vorher – nämlich heute am 5.11. – haben wir noch eine Anhörung zu diesem Thema im Integra­ti­ons­aus­schuss um 11:30. Für die Gruppen und das Karne­vals­büro wird deren Leitung Nadja Mau anwesend sein und könnte Pikantes oder Peinliches berichten (Hier ihre Stellung­nahme). Zur Anhörung liegt jetzt das Wortpro­tokoll vor.

Das Ganze ist und bleibt sehr sonderbar. Erst soll es einen Dialog geben. Dann wird dieser nach Abschluss einfach für nicht beendet erklärt. Erst sollen die Gruppen die Dritt­mittel einwerben, dann der Träger. Dann sind die Mittel angeblich doch da, nur woanders. Was genau eigentlich mit diesem ganzen unwür­digen Gezerre erreicht werden soll, ist mir immer noch nicht ganz klar. Denn dass wirklich irgend­jemand von einer Erhöhung des Sponsoring um 700% für realis­tisch hält, fällt mir schwer zu glauben. Eine Theorie ist: Es soll auf die Gruppen Druck ausgeübt werden, um irgendwas anderes zu erreichen, bei dem es einen Konflikt mit dem Senat gibt. Mögliche Punkte sind Veran­stal­tungsort, Struktur und Zusam­men­setzung des Beirats und Auswahl des Trägers.

Auf S. 6 (immer noch des gleichen Berichts) betonen sie, „dass der Karneval der Kulturen einen Träger braucht, der politisch unabhängig ist“. Wer ins Impressum von Kultur­pro­jekte schaut, findet dort als Vorsit­zenden des Aufsichtsrats Tim Renner, der für die SPD Staats­se­kretär für Kultur ist. Geschäfts­führer ist Moritz van Dülmen. Laut BZ von 2014 war van Dülmen eigentlich statt Renner im Gespräch als Staats­se­kretär, war Favorit von SPD-Chef Stöß und hatte aber „offenbar Bedenken, ob sie [also er] den Job nach der nächsten Wahl 2016 weiter­führen“ kann. Stell­ver­tre­tender Geschäfts­führer von KPG ist Dr. Torsten Wöhlert. Wöhlert war bereits 2004 Sprecher des damaligen Kultur­se­nator Thomas Flierl (PDS) (wie lange genau, weiß ich gerade nicht), später war er dann Sprecher des Kultur­staats­se­kre­tärs André Schmitz (SPD), des Vorgängers von Tim Renner. Besonders politisch unabhängig hört sich das alles nicht an. Laut jüngstem Bericht des Tages­s­piegels haben sich die Gruppen daher folge­richtig innerhalb bereits gegen Kultur­pro­jekte ausge­sprochen. Man „habe bereits einen sehr erfah­renen Träger gefunden, der den Karneval zumindest vorüber­gehend über­nehmen könne.“ Ein guter Grund für den Senat, den Druck aufrecht zu erhalten und Mittel vorerst noch zurück­zu­halten…

Nachtrag: Der Vollstän­digkeit halber soll hier noch der weitere Verlauf skizziert werden:
Längst nachdem der Integra­ti­ons­haushalt bereits abgestimmt worden war – in der sogenannten „Resterampe“-Sitzung am 27.11.2015 (hier das Beschluss­pro­tokoll) wurde der Haushalts­titel des Karnevals der Kulturen erneut aufge­rufen. In den ‚last minute‘-Ände­rungs­an­trägen der Koalition findet sich auf S. 2 eine Erhöhung des Titels für 2017 um € 230.000 auf €500.000. Wohlge­merkt: Das ist immer noch € 330.000 weniger, als gefordert wurde, worauf ich auch hinwies. Aber es war zumindest soviel Geld, dass eine gewisse Wahrschein­lichkeit bestand, dass ein möglicher neuer Träger (die Karnve­vals­gruppen und das Karne­vals­büro hatten schon damals kommu­ni­ziert, dass sie sich dafür Piranha Arts wünschten) vor einer Über­nahme des Karnevals 2016 nicht zurück­schrecken würde. Und so stimmten dann auch alle Fraktionen für den Antrag.

Erst am 21.02.2016 wurde schließlich wirklich verkündet, dass der Karneval definitiv statt­findet und Piranha Arts der Veran­stalter werden wird. Wie auch in 2015 gab es also wieder extrem kurzen Vorlauf. Dennoch so wurde der Karneval 2016 auch wieder ein großar­tiges Ereignis. Leider bleibt noch immer die bereits oben thema­ti­sierte deutliche Finan­zie­rungs­lücke für 2017. Außerdem gibt es neuerlich Streit um die Finan­zierung des Veran­stalters des Karnevals bis 2015, die Werkstatt der Kulturen.

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