Der Karneval der Kulturen ist seit mittlerweile über zwanzig Jahren eine feste polit-kulturelle Institution und touristische Attraktion in Berlin. Das macht ihn auch zum Spielball politischer und persönlicher Interessen. Organisiert wird er seit zwei Jahrzehnten von einem Organisationsteam über den Träger Werkstatt der Kulturen. Die Werkstatt ist über einen Beirat PM_KdK_Konzeptdialog organisiertes Haus in Neukölln, das zu großen Teilen über öffentliche Mittel finanziert wird. (Zu Struktur und Finanzierung der Werkstatt hier ein aktueller Bericht) Das Organisationsteam arbeitete schon lange in der selben Besetzung. Die Finanzierung erfolgt aus Drittmitteln, Standgebühren und einem seit langem konstanten Betrag von €270.000 / Jahr aus öffentlichen Mitteln. Für weitere Bedarfe, wie einen Karnevalsfonds, der den Gruppen ihre Organisation vor erleichtern soll, weigerte sich der Senat stets zusätzliche Mittel bereit zu stellen. Die Hauptarbeit tragen die Karnevalsgruppen. Sie sind in der Regel ehrenamtlich Arbeitende WagenorganisatorInnen, ohne die nichts läuft. Sie waren bisher sehr unorganisiert, haben aber kürzlich einen Beirat gegründet, der die Gruppen vertritt.
Durch den ständig wachsenden Zustrom an BesucherInnen und negative Erfahrungen mit Großereignissen – nicht zuletzt den Ereignissen der Love Parade in Duisburg 2013 – war klar, dass der Karneval neu konzeptioniert werden muss, mit Fokus auf Erweiterung der Sicherheit. Die Chefin der Werkstatt der Kulturen, Philippa Ebene, ließ daher zeitnah nach dem 2014er-Karneval ein Sicherheitskonzept für den Karneval entwerfen, das finanzielle Mehrbedarfe im sechsstelligen Bereich feststellte. Das Konzept lag dem Senat seit spätestens Herbst 2014 vor. Obwohl klar war, dass ohne zusätzliche finanzielle Mittel keine Möglichkeit bestehen würde, den Karneval sicher durchzuführen und weiter zu veranstalten, ging man im Senat auf Tauchstation. Die Folge: Teile des Karneval-Organisationsteams glaubte nicht mehr, dass der Karneval noch gewollt war, fürchtete um ihre Arbeitsplatz und hatte sich mittlerweile schon anderweitig beworben. Erst als die Karnevalsgruppen selbst aktiv wurden, Öffentlichkeit herstellten, Petitionen starteten und vor dem Untergang des Karnevals warnten, regte sich was. Nach mehreren Monaten Gezerre stellte der Senat hastig zusätzliche Mittel bereit, Kulturprojekte GmbH wurde als neuer Träger statt der Werkstatt ins Spiel gebracht, mehrere frühere OrganisatorInnen, darunter Nadja Mau, kehrten zurück und übernahmen das Karnevalsbüro und der Karneval 2015 fand erfolgreich statt. In diesem Kontext spielte sich Senatorin Kolat dabei als Retterin auf, ohne ihr eigenes schuldhaftes Zögern, welches ja Auslöser für die Problematik. Dramatik und Dringlichkeit war, in irgendeiner Form zu erklären oder zu thematisieren. Das Positive: Direkt im Anschluss an den 2015er-Karneval wurde ein Konzeptdialog ausgerufen, der von den Karnevalsgruppen, moderiert durch ein vom Senat bezahltes Team, durchgeführt werden sollte, und an dem der Senat als Gast teilnahm. (Hier der Bericht an den Hauptausschuss vom 5.6. plus Folgebericht vom 1.9.)
Genug Gelegenheiten also um aus der ganzen Sache etwas zu lernen, sollte man meinen. Bezüglich Sicherheitskonzept, Karnevalsgruppenfonds usw. Weit gefehlt. Das böse Erwachen kam dann im August. Als der Haushaltsentwurf des Senats (Band 6) erschien, war ich ziemlich erstaunt. Dem gerade erst „geretteten“ Karneval wurde vom Senat eine Gnadenfrist über ein Jahr gewährt. Die Werkstatt wurde wie bisher im Titel 68410 Partizipationsmaßnahmen auf S. 43 des Integrationshaushalts veranschlagt. Der Karnval war nun ein eigene Titel namens „Sonstige Zuschüsse für konsumtive Zwecke im Inland (neu)“ auf S.48. Die notwendigen €830.000 zur Finanierung aus öffentlichen Mitteln, ohne die er nicht mehr durchführbar ist, finden sich jedoch nur für das Haushaltsjahr 2016. Für das Haushaltsjahr 2017 werden ohne Erklärung wieder nur die €270.000 von früher eingestellt.
Das bedeutet ein Finanzierungsdefizit von €560.000. Damit wäre der Karneval in seiner Substanz erneut gefährdet. Zwar beschließt nicht der Senat, sondern das Parlament den Haushalt, aber es erschien mir unwahrscheinlich, dass die Koalition eine bewusste Senkung eines Titel durch den Senat korrigieren würde. Auf unsere Nachfrage hin, wie dieses Finanzierungsdefizit ausgeglichen werden soll, wurde uns am 24.9. ein Bericht geliefert, in dem zynischerweise steht:
„Nach Pfingsten 2015 hat die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen gemeinsam mit den Karnevalsgruppen einen Konzeptdialog für den Karneval der Kulturen begonnen. Die Senatsverwaltung für Arbeit kann diesem Dialog nicht vorgreifen, geht allerdings davon aus, dass als Ergebnis des Konzeptdialoges u.a. eine Verstärkung der finanziellen Mitteln durch Dritte (unter anderem Sponsoring) zu einer Reduzierung der vom Land Berlin zur Verfügung gestellten Mittel ab dem Jahr 2017 führen wird.“
Falls diese Aussage Bericht ernst gemeint ist, bedeutet dies, dass Senatorin Kolat
1. eine Erhöhung der jetzigen Drittmittel von €80.000 in Höhe von €560.000 (also um 700%!!) auf €640.000 anstrebt, was aus meiner Sicht einem Ausverkauf der Marke Karneval gleich käme,
2. von den unermüdlich und unentgeltlich ihre Freizeit opfernden Karnevalsgruppen verlangt, dass sie sich zusätzlich um die Beschaffung dieser Drittmittelfinanzierung kümmern sollen und
2. der Konzeptdialog, der ja tragfähige Lösungen für die Zukunft des Karnevals in Zusammenarbeit mit den Gruppen finden sollte, nun gegen diese verwendet wird, indem er als Rechtfertigung dazu dient, die Finanzierung erneut in Frage zu stellen.
Dabei ist das ganze unwürdige Gezerre auch wirtschaftlich absurd. Zwar könnte man sicher eine Erhöhung der Drittmittel im moderaten Bereich anstreben – notwendig ist das jedoch nicht. Schon 2011 veröffentlichte die IBB eine Studie, gemäß der jeder in den Karneval investierte Euro fünf Euro in die Stadt bringt. Die Hatz auf Drittmittel ist in diesem Lichte also mehr als zweifelhaft. Eine Kofinanzierung durch den Kultursenat wäre vielleicht zielführender.
Am 1. Oktober fand dann die 2. Lesung des Haushalts im Integrationsausschuss statt. Die entscheidende Sitzung, um den Fehler wieder zu korrigieren. Wer noch Zweifel an der Stimmung der Gruppen hatte, konnte sich über den im Vorfeld der Sitzung versandten offenen Brief davon überzeugen. Die Taz berichtete dazu auch.
Doch obwohl SPD, CDU und Senat einhellig versicherten, der Karneval solle erhalten bleiben und in seiner Finanzierung nicht gefährdet werden, lagen keine Änderungsanträge seitens der Koalition vor und unser Antrag zur Schließung der Finanzierungslücke wurde von den Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Grünen abgelehnt. Staatssekretärin Loth erklärte noch, dass es kurz nach der Ausschusssitzung eine Sitzung des Konzeptdialogs geben solle, auf der die Finanzierung behandelt und im Anschluss entschieden werden solle. Hier das Protokoll der 2. Lesung im Integrationsausschuss (Thema Karneval findet auf S.70.).
Alles steuerte also auf die 2. Lesung des Integrationshaushalts im Hauptausschuss am 4. November hin, bis zu der sich die Koalition hätte besonnen haben können und der Konzeptdialog im Zweifel noch offene Fragen würde angeblich geklärt haben. Der Konzeptdialog war mittlerweile abgeschlossen (im Sinne von abgeschlossen!) (Hier die PM des Karnevalsbüros vom 29.10.). Dazu lieferte der Senat dann auch noch einen weiteren Bericht und damit auch das Ergebnis des Konzeptdialogs. Darin stand dann aber plötzlich folgendes:
„Ein Vorschlag für die künftige konzeptionelle Gestaltung des Karnevals der Kulturen ist im Rahmen eines intensiven Konzeptdialogs der Karnevalsgruppen von diesen erarbeitet worden (siehe Anlage 1). […] Die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen hat daher eine zweite Phase des Dialogverfahrens vorgeschlagen, damit die Ergebnisse des Konzeptdialogs präsentiert und der Dialog mit ihr aufgenommen werden können. Hiermit sind die Karnevalsgruppen einverstanden. Im Rahmen des Konzeptdialogs sollte geprüft werden, wie verstärkt auf die Finanzierung durch Dritte zurückgegriffen werden kann bzw. welche Kosten durch den Karneval der Kulturen aufgrund einer möglichen veränderten Konzeption – wie z.B. einer möglichen Verkleinerung – entstehen. Es wird eine Reduzierung der zur Verfügung gestellten Mittel angestrebt. Zu diesem Punkt sind im Rahmen des Konzeptdialoges Ergebnisse erarbeitet worden, die dieses Ziel nicht hinreichend berücksichtigen.“
Übersetzt: „Die Karnevalsgruppen haben ärgerlicherweise nicht den Ausverkauf des Karnevals beschlossen, deswegen müssen sie jetzt nachsitzen, bis sie das von uns gewünschte Ergebnis produzieren.“ Ach! Überraschung! Hätte man sich ja auch nach dem Lesen des offenen Briefes denken können. Kaum noch erwähnenswert, dass während des Dialogs offensichtlich massiv Druck auf die Gruppen ausgeübt wurde und die Gruppen nichts von einer 2. oder 3. Phase wissen geschweige denn damit einverstanden sind. Das Ergebnis und damit ihre Position in dieser Frage findet sich ja auch im bereits erwähnten Bericht. Auf S. 8. Sponsoring wird befürwortet, solange die Bedingungen dazu „mit dem nicht-kommerziellen Charakter und den ehtischen Grundvorstellungen des KdK vereinbar sind.“ Da unter diesen Bedingungen nicht mit einer 700%-igen Erhöhung der Drittmittel zu rechnen ist, soll der Landeszuschuss realistischerweise in Zukunft „auch auskömmlich“ sein.
In der gestrigen Sitzung sagte Senatorin Kolat uns auch, dass das Ergebnis der (von ihr frei erfundenen) 2. Phase nicht im November zu erwarten sei. Auf Nachfrage, wieso die EhrenamtlerInnen eigentlich Drittmittel einwerben sollen, erklärte sie dann, dies sei eigentlich Aufgabe des Trägers, der noch nicht ausgewählt sei. Außerdem gebe es ja notfalls Mittel, die man bereit stellen könne. Und auch die CDU erklärte wiederum, sie wolle noch nach Mittel für die Schließung der Finanzierungslücke Ausschau halten. Na dann, weidmanns heil! Die letzten Chancen für die Erhöhung des Titels sind jetzt die (nur unüblicherweise stattfindende) 3. Lesung des Titels im Hauptausschuss am 27.11. und die 2. Lesung und damit finale Verabschiedung des Haushalts im Plenum am 10.12. Vorher – nämlich heute am 5.11. – haben wir noch eine Anhörung zu diesem Thema im Integrationsausschuss um 11:30. Für die Gruppen und das Karnevalsbüro wird deren Leitung Nadja Mau anwesend sein und könnte Pikantes oder Peinliches berichten (Hier ihre Stellungnahme). Zur Anhörung liegt jetzt das Wortprotokoll vor.
Das Ganze ist und bleibt sehr sonderbar. Erst soll es einen Dialog geben. Dann wird dieser nach Abschluss einfach für nicht beendet erklärt. Erst sollen die Gruppen die Drittmittel einwerben, dann der Träger. Dann sind die Mittel angeblich doch da, nur woanders. Was genau eigentlich mit diesem ganzen unwürdigen Gezerre erreicht werden soll, ist mir immer noch nicht ganz klar. Denn dass wirklich irgendjemand von einer Erhöhung des Sponsoring um 700% für realistisch hält, fällt mir schwer zu glauben. Eine Theorie ist: Es soll auf die Gruppen Druck ausgeübt werden, um irgendwas anderes zu erreichen, bei dem es einen Konflikt mit dem Senat gibt. Mögliche Punkte sind Veranstaltungsort, Struktur und Zusammensetzung des Beirats und Auswahl des Trägers.
Auf S. 6 (immer noch des gleichen Berichts) betonen sie, „dass der Karneval der Kulturen einen Träger braucht, der politisch unabhängig ist“. Wer ins Impressum von Kulturprojekte schaut, findet dort als Vorsitzenden des Aufsichtsrats Tim Renner, der für die SPD Staatssekretär für Kultur ist. Geschäftsführer ist Moritz van Dülmen. Laut BZ von 2014 war van Dülmen eigentlich statt Renner im Gespräch als Staatssekretär, war Favorit von SPD-Chef Stöß und hatte aber „offenbar Bedenken, ob sie [also er] den Job nach der nächsten Wahl 2016 weiterführen“ kann. Stellvertretender Geschäftsführer von KPG ist Dr. Torsten Wöhlert. Wöhlert war bereits 2004 Sprecher des damaligen Kultursenator Thomas Flierl (PDS) (wie lange genau, weiß ich gerade nicht), später war er dann Sprecher des Kulturstaatssekretärs André Schmitz (SPD), des Vorgängers von Tim Renner. Besonders politisch unabhängig hört sich das alles nicht an. Laut jüngstem Bericht des Tagesspiegels haben sich die Gruppen daher folgerichtig innerhalb bereits gegen Kulturprojekte ausgesprochen. Man „habe bereits einen sehr erfahrenen Träger gefunden, der den Karneval zumindest vorübergehend übernehmen könne.“ Ein guter Grund für den Senat, den Druck aufrecht zu erhalten und Mittel vorerst noch zurückzuhalten…
Nachtrag: Der Vollständigkeit halber soll hier noch der weitere Verlauf skizziert werden:
Längst nachdem der Integrationshaushalt bereits abgestimmt worden war – in der sogenannten „Resterampe“-Sitzung am 27.11.2015 (hier das Beschlussprotokoll) wurde der Haushaltstitel des Karnevals der Kulturen erneut aufgerufen. In den ‚last minute‘-Änderungsanträgen der Koalition findet sich auf S. 2 eine Erhöhung des Titels für 2017 um € 230.000 auf €500.000. Wohlgemerkt: Das ist immer noch € 330.000 weniger, als gefordert wurde, worauf ich auch hinwies. Aber es war zumindest soviel Geld, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestand, dass ein möglicher neuer Träger (die Karnvevalsgruppen und das Karnevalsbüro hatten schon damals kommuniziert, dass sie sich dafür Piranha Arts wünschten) vor einer Übernahme des Karnevals 2016 nicht zurückschrecken würde. Und so stimmten dann auch alle Fraktionen für den Antrag.
Erst am 21.02.2016 wurde schließlich wirklich verkündet, dass der Karneval definitiv stattfindet und Piranha Arts der Veranstalter werden wird. Wie auch in 2015 gab es also wieder extrem kurzen Vorlauf. Dennoch so wurde der Karneval 2016 auch wieder ein großartiges Ereignis. Leider bleibt noch immer die bereits oben thematisierte deutliche Finanzierungslücke für 2017. Außerdem gibt es neuerlich Streit um die Finanzierung des Veranstalters des Karnevals bis 2015, die Werkstatt der Kulturen.