
Foto: Sara Prestianni / storiemigranti.org
Mein heutiger Redebeitrag zum gemeinsamen Oppositionsantrag ‚Seenotrettung wiederbeleben‘
Anfang Oktober 2014 fuhr der Integrationsausschuss des Abgeordnetenhauses nach Rom. Dort konnten wir uns im Gespräch mit Flüchtlingsvertretung, italienischen Behörden und dem UNHCR ein Bild von der Situation der Flüchtlinge vor Ort machen. Die Seenotrettungsmission Mare Nostrum war damals kurz vor der Einstellung. Ursprung der Mission war das Ertrinken von 400 Geflüchteten im Mittelmeer im Herbst 2013 binnen weniger Tage. Allseits hieß es seitens Staatschefs und Kirchenoberhäuptern, dies dürfe sich niemals wiederholen. Und Italien organisierte die Operation, die am 18. Oktober 2013 unter der Leitung des Admirals Guido Rando startete. Am 31. Oktober 2014 endete Mare Nostrum ersatzlos. Italien hatte 9 Mio. € pro Monat dafür ausgegeben und verlangt, dass die EU die Operation gemeinsam finanziere, was von den Mitgliedsstaaten abgelehnt worden war. Bis dahin waren über 80.000 Menschen aus den Fluten gerettet worden.
In den letzten Tagen sind wieder über 1000 Menschen in den Fluten des Mittelmeeres gestorben. Nun ist allseits die Trauer groß. Aber es ist wichtig zu betonen, dass diese Menschen keinen Unfall erlitten haben. Es ging schließlich bei der Einstellung von Mare Nostrum nicht vor allem ums Geld. Die Seenotrettung von Geflüchteten ist in Europa politisch nicht gewollt, da dies als Anreiz für weitere Grenzübertrittsversuche verstanden wird. Der Tod der vor der italienischen und griechischen Küste ums Leben gekommenen war insofern gewollt und wurde absichlich herbeigeführt. Durch Regierungen, die dafür einstehen, dass die Rettung von Menschen, die versuchen über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, nicht erwünscht ist. Ihr Tod sollte eine Warnung sein, eine Abschreckungsmaßnahme gegenüber allen, die erwägen, ähnliches zu tun. Dies kommt öffentlichen Massenhinrichtungen ohne Gerichtsverfahren gleich. Denn dies sind diese willentlich herbeigeführten Tode als Abschreckungseffekt aus politischen Motiven. Zurecht werden die USA regelmäßig dafür kritisiert, weil dort noch die Todesstrafe praktiziert wird. Doch aktuell erleben wir: In Wahrheit ist die EU nicht besser. Denn auch hier wird sie praktiziert. Und zwar sogar gegenüber Menschen, die kein Verbrechen begangen haben, außer die Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Kinder. Diese EU hat den Friedensnobelpreis wahrlich nicht verdient.
Und wieder heißt es, dies dürfe sich nicht wiederholen. Es wird sich getroffen, werden Konferenzen abgehalten, ein 10 Punkte-Plan vorgestellt. Doch was umfasst dieser? Mehr Überwachung per Fingerabdrucksscans, mehr Abschiebungen, mehr Zusammenarbeit mit korrupten nordafrikanischen Regimen wie schon damals mit Lybien unter Gaddhafi und mehr Gelder für unmenschliche Grenzschutzbehörden wie Frontex. Kurz: Mehr Abschottung. Der Feind Nummer Eins: Die sogenannten Schleuser. Dabei wird ignoriert: Die Fluchthelfer – und darunter gibt es ebenso überzeugte humanistische Menschenretter wie so verbrecherische Banden wie die lybischen Milizen, die damit ihren Krieg finanzieren – bedienen ein Angebot, was die EU erst schafft. Indem sie keine legalen Einreisewege ermöglicht. Indem sie keine Möglichkeit bietet von außerhalb der EU Asyl zu beantragen. Die Fixierung auf und Bekämpfung von Schleusern soll dazu dienen, von der eigenen Verantwortung für die Tausenden Toten abzulenken. Migration wird es immer geben, mal weniger und mal bürgerkriegsbedingt mehr. Und auch das Commitment auf die Bekämpfung von Fluchtursachen ist eine Farce und wird Migration nicht verhindern.
Die sofortige Wiedereinführung einer dauerhaften Seenotrettungsmission wie Mare Nostrum – nicht zu Verwechseln mit Versenken von mehr Geldern in der Abschottung via Triton/Frontex wie jetzt geplant ist – ist das Minimum von dem, was getan werden muss! Doch das wird nicht reichen. Es werden weiter Menschen sterben. Und allzu bald wird ein neues Ereignis geschehen, ein Flugzeug abstürzen, ein Land Fußballweltmeister sein, Alltag einziehen. Und wieder wird sich plötzlich keine Regierung mehr an die verzweifelten Gesichter schwarzer Menschen erinnern, die elendig krepiert sind, weil sie in Europa unerwünscht waren. Der Gewöhnungseffekt wird zu stark sein und die hunderte Menschen, die weiterhin sterben werden, werden die Medien nicht mehr ausreichend interessieren. Die Finanzierung der nächsten Seenotrettungsmission steht schon wieder in Frage. Und es geht von vorne los.
Woher ich das weiß? Weil es schon einmal so war. Und weil für tausende willentlich getöteter, mutwillig abgeschlachteter Menschen bisher kein einziger europäischer Politiker die Verantwortung übernommen hat und zurückgetreten ist. Und das auf einem Kontinent, auf dem Staatsoberhäupter wegen geschenkter Bobbycars zurücktreten. Es wird allzu leicht sein, weiter zu machen wie bisher. Und das stimmt traurig.
Es bräuchte ein Umdenken in Europa. In Richtung eines Kontinents, auf dem Migration und die Suche nach einem besseren Leben nicht als Verbrechen angesehen wird, sondern als fundamentales Menschenrecht und als Bereicherung für die Gesellschaft. Und es bräuchte ein Unterdrucksetzen und Abwählen der verantwortlichen Politiker, die diese inhumanen Maßnahmen betreibt, die weiterhin Sündenböcke sucht für etwas, an dem sie selbst die Schuld trägt. Nur dann kann sich etwas ändern.