Außerdem haben wir Resolutionen zu aktuellen Themen verabschiedet. Eine Arbeitsgruppe hat sich den Schwerpunktbereich Flüchtlingspolitik gewählt. Die folgende Resolution wurde am Sonntag vom Plenum des Fraktionentreffens verabschiedet:
Während täglich Menschen an den EU-Außengrenzen sterben bei ihrem Versuch, in Europa Schutz und ein menschenwürdiges Leben zu suchen, ist die aktuelle Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der Bundesländer weiter von Repression und Wegschauen geprägt. Im Koalitionsvertrag ist weder die Abschaffung der kriminalisierenden Residenzpflicht festgeschrieben, noch des stigmatisierenden Asylbewerberleistungsgesetzes, noch gibt es Initiativen, gegen die andauernde Diskriminierung ganzer Volksgruppen in europäischen Staaten vorzugehen. Stattdessen ist sogar geplant, solche Staaten als „sichere Drittstaaten“ zu definieren, um Abschiebungen schneller durchführen zu können.
Die Innenministerkonferenz feiert sich selbst für die Aufstockung der Kontingente syrischer Flüchtlinge, während Deutschland in Wirklichkeit durch restriktive Maßnahmen und unnötige Bürokratie schnelle Hilfe verhindert und seine Verantwortung für Millionen SyrerInnen auf der Flucht ignoriert. Gleichzeitig halten die InnenministerInnen weiterhin am unnötigen Instrument der Abschiebehaft fest; Flüchtlige werden hunderte von Kilometer von ihrem sozialen Umfeld entfernt über Monate inhaftiert, bevor sie außer Landes geschafft werden.
Es braucht eine Umkehr von der aktuellen Repressionspolitik und eine neue gemeinsame europäische Solidarität zugunsten geflüchteter Menschen. Die Bundesländer sind jetzt in der Verantwortung, die Auswirkungen der verfehlten Bundes- und EU-Politik abzumildern und Vorgriffsregelungen für Verbesserungen wie die geplante Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete in den Bundesländern umzusetzen. Die Piratenfraktionen werden sich an diesem Prozess intensiv beteiligen.
Zusätzlich hat sich unsere Arbeitsgruppe intensiv mit verschiedenen aktuellen Vorgängen im Bereich Flüchtlingspolitik beschäftigt. Hier unsere Positionen:
Rassistische Bedrohungen durch „sichere Herkunftsstaaten“ verhindern
Das Konzept „Sichere Herkunftsstaaten“ lehnen wir ab. Es ist vielmehr die jeweils individuelle Situation in Betracht zuziehen, um die Flüchtlingseigenschaft oder die Möglichkeit einer Abschiebung zu klären. Ganze Staaten können nicht für sicher erklärt werden; auch innerhalb der Europäischen Union sind bestimmte Personengruppen erheblicher Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt. Dies gilt in besonderem Maße für Angehörige von Minderheiten auf dem Balkan.
Die Situation für Angehörige von Minderheiten (z.B. Roma, Ashkali, Goranen, Sinti, Manouches, Jenische und Ägypter) ist in vielen europäischen Ländern auch weiterhin teilweise lebensbedrohlich. In zahlreichen Staaten, sowohl in EU-Ländern wie Rumänien, Bulgarien und Ungarn als auch in Nicht-EU-Ländern wie Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina sind sie rassistischer Diskriminierung bis hin zur Existenzbedrohung ausgesetzt. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sieht vor, dass Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Schutzsuchenden Roma aus den Staaten des westlichen Balkans wird pauschal Asylmissbrauch unterstellt.
Dies, wie auch die geplante Einstufung der Herkunftsstaaten als „sicher“, steht in eklatantem Widerspruch zur Realität: Die Diskriminierung der Roma und anderer Minderheiten ist etwa in Serbien so umfassend, dass einem Großteil der Betroffenen der Zugang zu Arbeit, zu Bildung, zu medizinischer Versorgung, zu regulären Wohnungen und oft gar zu sauberem Trinkwasser verwehrt bleibt. So sollen die Betroffenen – hauptsächlich Angehörige der Roma und anderer Minderheiten – in Schnellverfahren abgelehnt und binnen kurzer Zeit abgeschoben werden können. Diese Schnellverfahren und auch die bisherige Vorrangbearbeitung sind diskriminierend und verhindern das Eingehen auf den betroffenen Einzelfall.
Antiziganismus / Antiromaismus:
Antiziganismus/Antiromaismus ist eines der europaweit drängendsten Probleme der heutigen Zeit. Leider müssen wir feststellen, dass Roma und Sinti nirgendwo in Europa willkommen sind. Auch in Deutschland herrscht eine tiefe Ablehnung gegenüber dieser Minderheit; es fehlt an Aufklärung und Sensibilität für ihre prekäre Situation. Die Beschäftigung mit dem Antiziganismus/Antiromaismus, d.h. dem spezifischen Rassismus gegenüber Sinti und Roma, ist in Deutschland marginal, obwohl doch gerade unser Land nach der Vernichtung von 500.000 Roma und Sinti zur Zeit des Nationalsozialismus in besonderer historischer Verantwortung für diese Menschen steht. Auch nach 1945 wurden Roma und Sinti in Deutschland ausgegrenzt, Inklusion und Teilhabe, etwa in den Bereichen Bildung, Wohnen, Beschäftigung und Soziales, wurden ihnen systematisch verwehrt.
Wir fordern die Länderregierungen und die Bundesregierung auf, eine Qualifizierungs- und Bildungsoffensive für Roma und Sinti zu entwickeln!
Wir fordern ein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht für Roma und Sinti in Deutschland!
Wir fordern die gezielte Entwicklung und konsequente Durchführung eines Programms gegen Antiziganismus/Antiromaismus in Deutschland!.
Die vom EU-Rat verabschiedete Empfehlung für wirksame Maßnahmen zur Integration der Roma in den Mitgliedstaaten muss auch in Deutschland umgesetzt werden!
Verschärfung der migrationsfeindlichen EU-Abschottungspolitik durch die Bundesregierung
Die Strategie der Bundesregierung, die Migration nach Europa bereits im Vorgrenzbereich abzuwickeln, löst keine Probleme, sondern eskaliert die Situation. DIe Bundesrepublik muss ihren Einfluss in Europa geltend machen, um auf eine einheitliche Flüchtlingspolitik hinzuwirken, die unsere Grenzen zu Brücken für Flüchtlinge statt zu Mauern macht, anstatt wie aktuell werden die Maghreb-Staaten und die Türkei als Türsteher der Festung Europa zu verpflichten.
Im Koalitionsvertrag spricht die Bundesregierung davon, sich für eine Verbesserung der Situation in den Herkunfts- und Transitländern einsetzen zu wollen. Auch nach dem personellen Wechsel im Innenministerium scheint diese Strategie sich leider weiterhin in einer reinen Vorverlagerung der Flüchtlingsabwehr zu erschöpfen – die Türkei hat eine mit modernster Drohnentechnik überwachte Mauer an der europäischen Grenze sowie Dutzende Internierungslager errichtet und FRONTEX kommt immer wieder wegen illegaler Pushback-Operationen in die Presse.
Aufnahme syrischer Flüchtlinge
Die Innenministerkonferenz vom 4.bis 6. Dezember 2013 in Osnabrück hat lediglich minimale Verbesserungen bei der Aufnahmeregelung syrischer Familienangehöriger ergeben. Klar ist: Die Kontingente zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge sind an ihren hohen bürokratischen Hürden gescheitert. Die Zahl der tatsächlich durch die Kontingent-Regelungen in Sicherheit gebrachten Flüchtlinge übersteigt in den einzelnen Ländern selten bis nie den zweistelligen Bereich. Auch bei der Umsetzung des zweiten Kontingents wurde versäumt, bürokratische Hürden effektiv abzubauen, die vollständige Kostenübernahme zuzusichern und das Kontingent auf eine realistische Zahl zu erhöhen. An Stelle von Kontingent-Regelungen muss nun unverzüglich eine Regelung (wie in Schweden) verabschiedet werden, die es ermöglicht, alle Syrerinnen und Syrer, die dies wünschen, in einem ordentlichen und zügigen Verfahren nach Deutschland und Europa in Sicherheit zu bringen. Andernfalls steht Deutschland angesichts des humanitären Desasters vor den Toren Europas weiter untätig. Was den Familiennachzug angeht, müssen die Bundesländer einheitliche und unbürokratische Nachzugsregelungen schaffen, die diesen auch tatsächlich ermöglichen. Zudem müssen die horrenden Verpflichtungserklärungen abgeschafft werden und es muss eine Härtefallregelung zum Familiennachzug auf Landesebene für besonders Schutzbedürftige Menschen aus Syrien geben.
Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete – Vorgriffsregelungen in den Bundesländern!
Obwohl die Situation in ihrem Herkunftsland so unsicher und gefährlich ist, dass sie nicht abgeschoben werden können, werden Hunderttausende Menschen in Deutschland nicht anerkannt, ihr Aufenthaltsstatus ist prekär. Aktuell leben in Deutschland fast 86.000 Menschen mit einer Duldung, rund 36.000 bereits länger als sechs Jahre. Sie sind seit Jahren gezwungen, ein Leben auf Abruf zu führen. Eine Rückkehr in ihr Herkunftsland ist für die allermeisten von ihnen undenkbar und in Deutschland sind sie nur befristet geduldet. Immer wieder droht ihnen die Abschiebung. Sie alle können ihre Zukunft nicht gestalten, weil sie in Deutschland keine sichere Lebensperspektive haben.
Folgerichtig soll laut Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD eine stichtagslose Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete, gut integrierte Ausländer_innen eingeführt werden. Wann dies passiert, bleibt jedoch unklar. Solange bleiben die Betroffenen in Unsicherheit und Ungewissheit. Mehrere Bundesländer wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben daher bereits im Vorgriff auf die durch Änderung des Aufenthaltsgesetzes zu erwartende Einführung eines altersunabhängigen und stichtagslosen Bleiberechts Weisungen an ihre Ausländerbehörden vorgenommen.
Wir fordern eine schnelle Umsetzung der Zusagen aus dem Koalitionsvertrag und bis zu ihrer Umsetzung alle Bundesländer, eine Weisung an die Ausländerbehörde erlassen, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die ausreisepflichtige Personen unter Zugrundelegung der Bundesratsdrucksache 505/12 (Beschluss) voraussichtlich begünstigt und ihr im Ermessenswege eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG erteilt werden kann.
Residenzpflicht abschaffen
Die in Deutschland praktizierte Residenzpflicht ist eine massive und ungerechtfertigte Einschränkung von Freizügigkeit. Sie ist eine europaweit einmalige Regelung zur Kriminalisierung und Stigmatisierung von Menschen mit Fluchthintergrund. Immer wieder wurde diese Regelung in den vergangenen Jahren von Betroffenen kritisiert und ihre Abschaffung beantragt. So zum Beispiel beim Refugee Protest March nach Berlin 2012. Der Koalitionsvertrag bietet im Widerspruch zu diversen öffentlichen Verlautbarungen keine grundlegenden Verbesserungen für die Betroffenen im Vergleich zum Ist-Zustand. Solange die Bundesregierung sich auch weiterhin weigert, ihrer humanitären Verpflichtung nachzukommen, sind die Bundesländer in der Pflicht, diese Regelung auf Landesebene weitestgehend auszuhöhlen und de facto abzuschaffen. Das Beispiel Schleswig-Holsteins zeigt: Die Bundesländer können auch selbst de facto die Residenzpflicht abschaffen oder zumindest per Erlass aufs gesamte Bundesgebiet ausweiten.
Abschiebehaft abschaffen
Aufgrund aktueller Urteile von Gerichten, die eine deutliche Unterscheidung zwischen den Bedingungen der Abschiebungshaft und Verbüßung von Freiheitsstrafe anmahnen, hat die Innenministerkonferenz vom 4. bis 6. Dezember 2013 in Osnabrück die Frage nach effizienter Umsetzung des §62 Aufenthaltsgesetz diskutiert. In Diskussion ist die Zusammenlegung von Abschiebehäftlingen aus mehreren Bundesländern in gemeinsamen Abschiebehaftanstalten. Dieses lehnen wir ab, da hier Menschen gegen ihren Willen an Orte gebracht werden, die zum Teil hunderte von Kilometern entfernt von ihrem sozialem Umfeld und ihren Anwälten liegen.
Wir fordern hingegen die ersatzlose Streichung des § 62 AufenthG. In einem Rechtsstaat dürfen nur Menschen, die rechtskräftig verurteilt sind, in Haft genommen werden. Es darf nicht sein, dass ein Staat zu vorsorglicher Freiheitsberaubung greift, um die Aufenthaltsorte von Personen bestimmen zu können, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen. Auch resultiert aus einer nicht-erfolgten Ausweisung kein Nachteil für die Behörden, sondern lediglich für die in die Illegalität getriebenen Betroffenen.
Asylbewerberleistungsgesetz
Der Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerberinnen, Asylbewerber und Geduldete ist eine wichtige Integrationsvoraussetzung. Wir fordern den uneingeschränkten Zugang von Asylbewerberinnen, Asylbewerbern und Geduldeten zum Arbeitsmarkt von Anfang an. § 61 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) ist ersatzlos aufzuheben. Weiterhin sicherzustellen, dass Arbeitsmarktverbote nicht mehr als Sanktionsmittel angewendet werden.
Des weiteren lehnen wir einen Vorrang von Sach- gegenüber Geldleistungen ab. Sachleistungen sind entmündigend und gegenüber Geldleistungen aus organisatorischen, gesellschaftlichen und finanziellen Gründen abzulehnen. Wir begrüßen die Initiative zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, in dem der Vorrang des Sachleistungsprinzips verankert ist. Es darf keine Sozialgesetzgebung zweiter Klasse geben – das hat das Bundesverfassungsgesetz überdeutlich festgestellt. Die Bundesregierung muss die Gesetzeslage entsprechend ändern.
FRONTEX abschaffen
In den letzten Wochen und Monaten ist die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX wiederholt wegen illegaler Push-Backs mit Todesfolgen in die Medien geraten. Diese völkerrechtswidrigen Praktiken sind Ausdruck einer menschenverachtenden Abschottungspolitik der Europäischen Union. Forderungen an diese Polizei-Einheiten, sich an die geltenden Gesetze zu halten, erübrigen sich. Wir PIRATEN fordern daher konsequent die Abschaffung von Frontex. Ebenso ist die europäische Nachbarschafts- und Entwicklungspolitik auf die effektive Verbesserung der Lebensbedingungen und der Menschenrechtssituation in den betreffenden Staaten auszurichten.
Sprach- und Integrationskurse für Flüchtlinge
Das frühzeitige Erwerben von Sprachkenntnissen im Zuwanderungsland ist von grundlegender Bedeutung. Sprachkenntnisse verbessern die Kommunikation mit Behörden und Ämtern und reduzieren so unnötig hohen Verwaltungsaufwand. Die Teilhabe am Arbeitsmarkt, die prinzipiell auch Flüchtlingen offen steht, ist ohne Deutschkenntnisse nicht möglich. Auch bei einer Rückkehr ins Ursprungsland verbessert sich die berufliche Perspektive. Derzeit stehen das Integrationskurs-System und das BAMF-ESF-Programm Asylsuchenden und Geduldeten nicht zur Verfügung. Bisher haben sie erst dann ein Recht auf Teilnahme an einem Integrationskurs, wenn sie einen regulären Aufenthaltstitel haben. Asylsuchende und Geduldete sind daher davon ausgenommen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass auch Flüchtlingen im laufenden Asylverfahren und Geduldeten der kostenfreie Zugang zu Integrationskursen eröffnet wird. Bis Asylsuchenden und Geduldeten der Zugang zu den Integrationskursen eröffnet ist, sollen die Bundesländer eigene Mittel zur Verfügung stellen, damit den Betroffenen frühzeitig die Teilnahme an Sprach- und Orientierungskursen im angemessenen Umfang ermöglicht wird. Die Inhalte und die Organisation der Kurse sollen sich an den Standards für die Integrationskurse orientieren; ferner ist das Angebot der Kurse personell nachhaltig über sozialversicherungspflichtige Dauerbeschäftigung abzusichern.
bitte + danke
Theresia