Wahlpro­gramm Migration und Asyl 2009/2013 im Vergleich

Der Bunde­s­par­teitag in Neumarkt ist zuende. Und dauch wenn die Stimmung manchmal nicht so supi war, so haben wir doch eine ganze Menge geschafft. Neben der Wahl von drei neuen Mitgliedern im Bundes­vor­stand, die auch schon für Aufsehen gesorgt haben und der Diskussion über die ZwischenPartei­tagenBetei­ligung, neben der Anerkennung der Grünen Jugend als zweite Jugend­or­ga­ni­sation, haben wir auch eine schöne Latte von Anträgen fürs Wahlpro­gramm beschlossen. Die Tages­schau hat eine schöne Zusam­men­fassung über die beschlos­senen Anträge online gestellt und auch der Deutsche Welle-Artikel ist dazu lesenswert.

Ich freue mich natürlich persönlich auch sehr, dass unsere auf dem Asylplenum in Frankfurt ausge­ar­bei­teten Anträge zu den Themen Migration und Asyl komplett angenommen wurden. Dies ist ein wichtiger Schritt und zeigt, dass sich die Piraten­partei als Teil einer inter­na­tio­nalen Bewegung für eine menschen­würdige, solida­rische, offene und plura­lis­tische Gesell­schaft einsetzt.

Außerdem bedeutet dies eine deutliche Weiter­ent­wicklung im Vergleich zum Wahlpro­gramm zur Bundes­tagswahl im Jahre 2009. Um die Weiter­ent­wicklung etwas eingän­giger aufzu­zeigen, habe ich die Unter­schiede der beiden jewei­ligen Wahlpro­gramms­be­reiche für euch visua­li­siert:

 

Wahlpro­gramm Migration 2009:

 

Wahlprgro­gramm Migration 2013:

Für die Vielfalt in der Gesell­schaft
Präambel

Migra­ti­ons­po­litik handelt von Menschen. Darum muss die Politik so gestaltet sein, dass sie auf die Erwar­tungen und Probleme der Betrof­fenen eingeht. Migran­tinnen und Migranten sollen daher in alle Prozesse einge­bunden sein, die ihre Möglich­keiten, Rechte und Pflichten betreffen.

Deutschland ist ein von Einwan­derung geprägtes Land. Die Piraten­partei schätzt unsere plura­lis­tische Gesell­schaft, die von der Vielfalt der verschie­denen Menschen lebt.

Migration und Mobilität berei­chern unsere Gesell­schaft. Mobilität umfasst dabei ein größeres Konzept als Migration alleine, denn sie betrifft auch Kurzzeit-Besucher, Touristen, Studie­rende, Forschende, Geschäfts­rei­sende oder Famili­en­mit­glieder auf Besuch. Wir setzen uns darum für eine mobili­täts­freund­liche Visapo­litik ein, die z.B. Lernen und Arbeiten von Menschen aus Dritt­staaten erleichtert. Dieses Konzept muss auch auf europäi­scher Ebene etabliert und nationale Regelungen harmo­ni­siert werden.

1. Für ein liberales Aufent­halts­recht

Erleich­terung des Ehegat­ten­nachzugs

Die Familie steht laut Grund­gesetz unter beson­derem Schutz. Dennoch ist es für Ehegatten, die aus Nicht-EU-Ländern stammen, Pflicht, noch vor der Einreise nach Deutschland einen Sprachkurs Deutsch zu belegen und erfolg­reich abzusch­ließen. Wir Piraten sehen hierin vor allem eine Abschre­ckungs­maß­nahme gegen­über Ehegatten, die finan­ziell nicht gut ausge­stattet sind, da Deutsch­kurse im Ausland oft teuer und mitunter mit hohem Aufwand verbunden sind. Wir fordern die Abschaffung der verpflich­tenden Deutsch­kennt­nisse noch vor der Einreise. Es ist vollkommen ausrei­chend, wenn nachzie­hende Ehegatten hier vor Ort Deutsch­kurse belegen.

Legali­sierung von Papier­losen

Wir brauchen eine inten­sivere Politik für Menschen, die sich ohne gültige Aufent­halts­ge­neh­migung in Deutschland aufhalten, um deren Recht- und Perspek­tiv­lo­sigkeit zu beenden. Dabei ist es wichtig, dass sowohl langfristige Konzepte entwi­ckelt als auch kurzfristige Maßnahmen durch­ge­führt werden. Betroffen sind zum Beispiel Migran­tinnen und Migranten, die zwar als Arbeits­kräfte im Haushalt, im Gastge­werbe oder in der Alten­pflege sehr geschätzt sind, aber aus den verschie­densten Gründen (abgelehnte Asylan­träge, abgelaufene Duldungen von Flücht­lingen aus Bürger­kriegs­ge­bieten, Entzug des Aufent­halts­rechts, abgelaufene Visa, nicht erneuerte Arbeits­ge­neh­mi­gungen, Verlust des Aufent­halts­rechts durch Scheidung) keine gültige Aufent­halts­be­wil­ligung mehr haben.

Für diese Menschen wollen wir den Bildungs­zugang und die medizi­nische Versorgung sicher­stellen. Bremen hat hierbei bereits Vorbild­pro­jekte auf den Weg gebracht. Zudem fordern wir eine Initiative zur Legali­sierung von Menschen, die sich ohne gültige Aufent­halts­ge­neh­migung in Deutschland befinden. Diese sollen eine unbefristete Aufent­halts- und Arbeits­er­laubnis erhalten, um einen geregeltes Leben in Würde führen zu können.

2. Staats­an­ge­hö­rigkeit – mehrfach und durch Geburt

Wir setzen uns für die Akzeptanz doppelter und mehrfacher Staats­an­ge­hö­rig­keiten ein, um die Hürde zur Annahme der deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit und des damit verbun­denen Wahlrechts zu senken. Der Zwang zur Entscheidung für eine Staats­an­ge­hö­rigkeit (Options­pflicht) entfällt. Menschen, die seit langem in Deutschland leben, sollen unabhängig von wirtschaft­lichen Kriterien die Möglichkeit haben, die deutsche Staats­an­ge­hö­rigkeit anzunehmen. Dies ist Teil des Integra­ti­ons­pro­zesses, nicht dessen Ziel.

Wir setzen uns für ein bedin­gungs­loses Recht aller in Deutschland geborener Menschen, egal welcher Abstammung, auf die deutsche Staats­an­ge­hö­rigkeit ein.

3. Für die Teilhabe aller Menschen

Wir setzen uns für die Teilhabe aller Menschen am gesell­schaft­lichen und politi­schen Leben ein. Dabei darf die Herkunft keine Vorbe­dingung für die Möglichkeit der Betei­ligung spielen. Es ist wichtig, dass jeder Mensch auf die Politik, von der er direkt betroffen ist, Einfluss nehmen kann.

Wahlrecht und Bürger­be­tei­ligung für alle Menschen

Das Wahlrecht ist ein wichtiges Teilha­be­recht. Wir setzen uns für das gleiche kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger wie für EU-Bürger ein, unabhängig von ihrer Staats­an­ge­hö­rigkeit.

Auch die Betei­ligung an weiteren politi­schen Prozessen, zum Beispiel Volks­be­gehren, -initia­tiven und -entscheiden, sowie das Einbringen und Unter­zeichnen von Petitionen, soll unabhängig von der Staats­an­ge­hö­rigkeit möglich sein.

Stärkung der Inter­es­sen­ver­tretung aller Menschen

Solange Menschen vom Wahlrecht ausge­schlossen sind, setzen wir uns für die Stärkung von demokra­tisch gewählten, mit ausrei­chenden Ressourcen ausge­stat­teten Kommu­nalen Auslän­der­ver­tre­tungen zur Artiku­lation der eigenen Inter­essen ein. Auch die Auslän­der­bei­räte und Integra­ti­ons­bei­räte auf allen Ebenen sollen als Inter­es­sen­ver­tretung finan­ziell und personell gestärkt werden.

4. Für eine moderne, weltoffene Verwaltung

Um eine vernünftige Gesell­schafts­po­litik zu gewähr­leisten, müssen die zustän­digen Akteure über finan­zielle Ausge­staltung und ausrei­chende Unabhän­gigkeit verfügen.

Unabhän­gigkeit und Kompetenz für die zustän­digen Akteure

Wir fordern eine Stärkung des für Migra­ti­ons­fragen zustän­digen Staats­mi­nis­te­riums oder die Schaffung eines eigenen Bundes­mi­nis­te­riums für Integra­ti­ons­an­ge­le­gen­heiten, um die derzeit fragmen­tierten integra­ti­ons­po­li­ti­schen Aufgaben zu bündeln. Dabei werden die Verant­wor­tungs­be­reiche unter den Minis­terien des Innern, Arbeit und Soziales und Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu einem Bereich zusam­men­ge­führt. Integra­ti­ons­po­litik muss stringent und kohärent in einer Hand liegen. Inter­kul­tu­relle Öffnung der Verwaltung

Um den Anfor­de­rungen einer vielfäl­tigen Gesell­schaft gerecht zu werden, setzen wir uns für die inter­kul­tu­relle Öffnung der Verwaltung ein. Dies beinhaltet mehrspra­chige Angebote in Formu­laren und auf Webseiten der Behörden sowie die Aus- und Weiter­bildung von Bediens­teten in inter­kul­tu­reller Kompetenz.

Diver­sität in der Verwaltung: Behörden gehen durch anony­mi­sierte Bewer­bungs­ver­fahren mit gutem Beispiel voran

Damit Behörden auf die Inter­essen der Bevöl­kerung angemessen eingehen können, müssen sie die Diver­sität der Gesell­schaft auch in ihren eigenen Reihen abbilden. Um dies zu erreichen, braucht es angemessene Bewer­bungs- und Auswahl­ver­fahren. Besondere Angebote für an Bewer­bungen inter­es­sierte Menschen sollen Interesse und Selbst­be­wusstsein stärken und für mehr Bewer­bungen aller gesell­schaft­lichen Gruppen sorgen. Die Piraten­partei Deutschland fordert anony­mi­sierte Bewer­bungs­ver­fahren in der Verwaltung, um möglicher Diskri­mi­nierung aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Natio­na­lität, Aussehen, Alter oder weiterer nicht-einstel­lungs­re­le­vanter Merkmale vorzu­beugen.

5. Für eine tolerante und erfolg­reiche Arbeits­markt­po­litik

Arbeits­markt­po­litik sollte sich daran orien­tieren, Menschen in ihren Fähig­keiten zu bestärken, Vielfäl­tigkeit anzuer­kennen und Diskri­mi­nierung abzubauen. So können sowohl die Ziele, den Arbeits­markt offen und fair für alle Teilnehmer zu gestalten als auch, als Volks­wirt­schaft erfolg­reich zu sein, erreicht werden.

Abschaffung des Mehr-Klassen-Systems auf dem Arbeits­markt

Wir wollen eine Mehr-Klassen-Situation auf dem Arbeits­markt beenden. Diskri­mi­nie­rungs­maß­nahmen jeder Art stellen unnötige und unange­messene Hürden für die Menschen dar, schaffen unnötige Büro­kratie für Arbeit­geber und behindern die Entwicklung der Wirtschaft. Wir setzen uns dafür ein, die gesetz­liche Schlechter­stellung von Menschen aus Nicht-EU-Staaten auf dem Arbeits­markt abzuschaffen. Außerdem soll die europa­weite Über­trag­barkeit von Sozial- und Renten­leis­tungen gefördert werden.

Anerkennung auslän­di­scher Berufs- und Schul­ab­schlüsse und Fähig­keiten

Durch die mangelnde Bereit­schaft, auslän­dische Abschlüsse anzuer­kennen, werden zum Teil hochqua­li­fi­zierte Menschen an der Ausübung ihres erlernten Berufes oder an der Durch­führung notwen­diger Weiter­bil­dungs­maß­nahmen gehindert. Wir setzen uns für die Erleich­terung der Anerkennung auslän­di­scher Diplome und Zerti­fi­zie­rungen ein.

In vielen Ländern ist die hier tradi­tio­nelle duale Berufs­aus­bildung nicht üblich. Das ist vor allem proble­ma­tisch für auslän­dische Arbeit­nehmer, die schon mehrjährige fundierte Berufs­er­fahrung haben. Für die Anerkennung von nicht forma­li­sierten beruf­lichen Erfah­rungen, Quali­fi­ka­tionen und beson­deren Fähig­keiten aus anderen Ländern sollen geeignete Maßnahmen ergriffen werden. So könnte es zum Beispiel möglich sein, durch eine Prüfung vor den Industrie- und Handels­kammern oder Handwerk­sin­nungen eine der Berufs­aus­bildung gleich­wertige Zerti­fi­zierung zu erhalten. Wir setzen uns ein für diskri­mi­nie­rungs­freie Prüfin­halte, die inter­kul­tu­relle Kompetenz und Mehrspra­chigkeit wertschätzen.

6. Gegen Diskri­mi­nierung und für Toleranz

Wir sprechen uns dagegen aus, verschiedene gesell­schaft­liche Gruppen gegen­ein­ander auszu­spielen und dabei die Krimi­na­li­sierung von ganzen Volks­gruppen mutwillig in Kauf zu nehmen. Gerade Antizi­ga­nismus ist hier als altes und neues Phänomen zu erwähnen, das den gesell­schaft­lichen Zusam­menhalt bedroht.

Toleranz muss gleich­zeitig Grundlage und Ziel des politi­schen Handelns sein. Die Bundes­re­publik Deutschland muss sich ihrer Rolle als ausglei­chender Faktor in der Mitte Europas stellen und ihrer histo­ri­schen Verant­wortung gerecht werden.

Diskri­mi­nierung auf allen Ebenen begegnen

Noch immer werden viele Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer äußerer Merkmale im alltäg­lichen Leben (z.B. bei der Vergabe von Wohnraum, Ausbil­dungs- und Arbeitsplätzen) benach­teiligt. Gegen Diskri­mi­nie­rungen dieser Art sind gezielte Maßnahmen zu ergreifen. Statt einseitig bei Verhalten und Befä­hi­gungen der Benach­tei­ligten anzusetzen, müssen diskri­mi­nie­rende Struk­turen aufge­deckt, reflek­tiert und wirksam bekämpft werden.

Projekt­för­derung

Die Förderung von Toleranz und der Kampf gegen Diskri­mi­nierung ist eine gesamt­ge­sell­schaft­liche Aufgabe. Zur Unter­stützung der betei­ligten Gruppen sind ausrei­chende finan­zielle Mittel bereit zu stellen. Den Versuch, Rassismus, Diskri­mi­nierung, Intoleranz und Rechts­ex­tre­mismus mit verschie­denen Formen politi­schen Protests gleich­zu­setzen, lehnen wir ab. Die Extre­mis­mus­klausel stellt einen staat­lichen General­ver­dacht gegen zivil­ge­sell­schaft­liches Engagement dar und gehört umgehend abgeschafft.

Nachvoll­ziehbare und verant­wort­liche Erstellung von Studien

Studien, die im Zusam­menhang mit der Diver­sität der Gesell­schaft erstellt werden, sollen grund­sätzlich nachvoll­ziehbar und trans­parent und unter Hinzu­nahme von externer Expertise aus Forschung und Wissen­schaft erarbeitet und zeitnah veröf­fent­licht werden.

7. Chancen­gleichheit im Bildungs­system

Die Piraten­partei setzt sich für mehr Chancen­gleichheit ein: Die sozio-kultu­relle Herkunft darf nicht mehr über den Bildungs­erfolg entscheiden.

Chancen­gleichheit durch gemein­sames Lernen

Um Chancen­gleichheit zu erreichen, setzen wir uns für ein gemein­sames Lernen von Kindern mit verschie­denem sozialen Hinter­grund ein. Den unter­schied­lichen sozialen und kultu­rellen Hinter­gründen der Lernenden soll mit Achtung begegnet werden.

Mehrspra­chigkeit ist ein Wert, den es zu fördern gilt. Wir begrüßen mutter­sprach­lichen Unter­richt zur Festigung der Mutter­sprache und zum leich­teren Erwerb des Deutschen. Dies darf jedoch nicht mit Selektion der Lernenden in verschie­denen Klassen anhand von Sprache und Herkunft einher­gehen. Der mutter­sprach­liche Unter­richt sollte beste­hende Sprach­fä­hig­keiten zerti­fi­zieren und somit als Quali­fi­kation wertschätzen. Die Didaktik von „Deutsch als Zweit­spra­che“ soll stärker in die Lehrer­aus­bildung und die Fortbil­dungen eingehen.

Lehrkräfte fördern und sensi­bi­li­sieren

Es gehört zu gelun­gener Inklusion, wenn auch Migran­tinnen und Migranten als Lehrkräfte tätig sind. Dies hilft Kindern ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund, Migranten zu respek­tieren, und Kindern mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, sich die Lehrkräfte als Vorbild zu nehmen. Wir schlagen die Vergabe von Stipendien für Lehramts­stu­die­rende mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund vor, um diese zum Lehramts­studium zu ermutigen und sie zu fördern.

Lehrkräfte müssen in ihrer Aus- und Weiter­bildung sensi­bi­li­siert werden, wie sich Selek­ti­ons­me­cha­nismen auswirken. Ihnen sollte beispiels­weise vermittelt werden, wie sich ihre eigene Herkunft, Bildung und gesell­schaft­liche Positio­nierung unbeab­sichtigt auf ihren Unter­richt und ihre Leistungs­be­wer­tungen auswirkt.

Freier Zugang zu Deutsch­kursen

Zur Zeit wird die Kursge­bühr für die verpflich­tenden Deutsch­kurse für Zuwan­dernde bis zum Sprach­niveau B1 über­nommen, wenn diese nicht in der Lage sind, die Kursge­bühr aufzu­bringen (z.B. ALG II beziehen). Dieses Sprach­niveau reicht gerade aus, um einfachen Berufs­tä­tig­keiten nachzu­gehen. Für ein Studium jedoch ist zum Beispiel das höhere Niveau C2 Voraus­setzung. Wir fordern, dass die Sprach­kurse generell kostenfrei sind, um Inklu­si­ons­bar­rieren abzubauen, oder dass zumindest die Kursge­bühren für Bedürftige auch für weiter­füh­rende Kurse über­nommen werden.

 

Und hier noch der Vergleich im Bereich Asyl:

Wahlpro­gramm Asyl 2009:

 

Wahlpro­gramm Asyl 2013:

Für eine solida­rische Asylpo­litik – Menschen­rechte gelten für alle!

1. Grund­sätze:

Die Piraten­partei Deutschland steht für eine offene, freie und plura­lis­tische Gesell­schaft ein, in der verschiedene Kulturen, Weltan­schau­ungen und Religionen friedlich gemeinsam leben können. Wir setzen uns deshalb für eine solida­rische und menschen­würdige Asylpo­litik ein, die am Wohl und Schutz der asylsu­chenden Menschen inter­es­siert ist und auf Instru­mente zur Abschre­ckung, Isolation und Diskri­mi­nierung ausnahmslos verzichtet. Asylpo­litik muss immer nach humani­tären und nicht nach natio­nal­staat­lichen oder wirtschaft­lichen Inter­essen ausge­richtet sein.

2. Asylgründe erweitern und Hürden für Aufent­halts­er­laubnis senken

Durch die Ände­rungen des Art.16 GG im sogenannten Asylkom­promiss ist das Recht, in Deutschland Asyl zu erhalten, drastisch einge­schränkt worden. Wir streben als ersten Schritt die vollständige Wieder­her­stellung des Grund­rechts auf Asyl, „politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (Art. 16 GG alt) an. Darüber hinaus müssen Menschen, die vor Diskri­mi­nierung, der Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen oder geschlecht­lichen Identität, vor Klima- und Umwelt­ka­ta­strophen, aufgrund ihrer Zugehö­rigkeit zu einer ethni­schen oder religi­ösen Gruppe oder wegen der Existenz­be­drohung durch Armut und Hunger geflohen sind, hier ebenfalls als asylbe­rechtigt anerkannt werden. Eine Hierar­chi­sierung von Flucht­gründen lehnen wir ab. Außerdem lehnen wir pauschale Katego­ri­sie­rungen von Staaten als „si­chere Herkunfts­län­der“ ab. Schutz­su­chende haben ein Recht auf indivi­duelle Prüfung ihrer Situation. Bei der Prüfung, ob eine Berech­tigung zum Asyl vorliegt, ist im Zweifel zu Gunsten der Asylsu­chenden zu entscheiden. Dabei ist auf diskri­mi­nie­rende und inhumane Beweis­ver­fahren zu verzichten.

3. Offenere Grenzen statt der Festung Europa

An den Außen­grenzen der Europäi­schen Union wird seit Jahren eine zuneh­mende Abrie­gelung angestrebt und umgesetzt, die Flücht­lingen den Zugang nach Europa immer stärker versperrt. Durch nationale Polizei­be­hörden, das Militär und private Sicher­heits­un­ter­nehmen sowie die Europäische Grenz­schutz­agentur FRONTEX werden Menschen gewaltsam am Betreten der EU gehindert und damit der Chance beraubt, durch einen Asylantrag Schutz in Europa zu finden. Dabei wird eine Gefährdung von Gesundheit und Leben der Flüch­tenden billigend in Kauf genommen. Die Berichte von sogenannten „boat people“, die mit Schiffen nach Europa fliehen wollten und dort ertrinken, obwohl Hilfe möglich gewesen wäre, machen uns betroffen und zeigen, dass hier unbedingt gehandelt werden muss.

Statt die Abrie­gelung Europas weiter voran­zu­treiben, muss die EU Maßnahmen zur sicheren Grenz­über­querung von flüch­tenden Menschen, besonders auf den Meeren vor Europa, treffen, um diesen die Möglichkeit zu geben, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Rettungs­ak­tionen sollen staatlich organi­siert werden. Sie durch­zu­führen ist nicht die Aufgabe der Zivil­ge­sell­schaft. Wo dies geschieht, dürfen Rettende für ihre Zivil­courage weder behindert noch krimi­na­li­siert werden. Wir kriti­sieren die momentane Praxis, immer neue Straf­tat­be­stände zu konstru­ieren, um Schutz­su­chende zu inhaf­tieren.

Freie Wahl des Aufent­halts­ortes für alle Menschen

Durch vermehrte technische Über­wa­chung an den Grenzen, zuneh­mende Daten­samm­lungen über einrei­sende Personen (z. B. „smart borders“, EURODAC) und die Ausweitung polizei­licher Befug­nisse wird deutlich, dass die Europäische Union nicht an der Aufnahme von schutz­su­chenden Menschen inter­es­siert ist, sondern auf Abschottung setzt.

Die Dritt­staa­ten­re­gelung und deren Konkre­ti­sierung in den „Du­blin“-Verord­nungen lehnen wir ab. Durch diese Regelung drücken sich zentral gelegene Staaten wie Deutschland vor der Verant­wortung den Schutz­su­chenden gegen­über. Jedem Menschen muss das Recht auf freie Wahl seines Aufent­halts­ortes gewährt werden. Daraus resul­tiert auch, dass jedem Menschen die Möglichkeit gegeben werden muss, in dem Land seiner Wahl Asyl zu beantragen. Die bevor­mun­dende Verschie­bungs­praxis der EU lehnen wir ab.

4. Grund­rechte auf alle Menschen ausweiten

Aktuell werden Asylsu­chende in einem nicht hinnehm­baren Maße vom gesell­schaft­lichen Zusam­men­leben ausge­schlossen und dadurch zu einem Leben in Isolation und Abschottung gezwungen.

Durch restriktive Vorschriften, wie z. B. die Residenz­pflicht, wird ihre Bewegungs­freiheit massiv einge­schränkt und ein freizü­giges, selbst­be­stimmtes Leben, ebenso wie die Betei­ligung an politi­schen oder sozialen Veran­stal­tungen, nahezu unmöglich gemacht. Wir setzen uns dafür ein, dass Asylsu­chenden die Möglichkeit gegeben wird, sich frei und unkon­trol­liert im gesamten Gebiet der Europäi­schen Union zu bewegen. Isolation beenden – menschen­würdige und dezen­trale Unter­künfte schaffen! Durch die Unter­bringung in Lagern und Gemein­schafts­un­ter­künften, die zumeist einem maroden Zustand vorweisen und abgelegen von Stadt­kernen liegen, sind Asylsu­chende zu einem isolierten Leben gezwungen. Durch die Residenz­pflicht sind Asylsu­chende zudem häufig an einzelne Gemeinden oder Landkreise gebunden, wodurch ihnen die Möglichkeit genommen wird, Freun­dinnen und Freunde, Bekannte oder Famili­en­mit­glieder außerhalb der Kreis­grenzen zu besuchen.

Erschwert wird diese Situation dadurch, dass kein Anspruch auf den Zugang zu neuen Medien, wie dem Internet, besteht. Ein Inter­ne­t­an­schluss bietet leichten Zugang zu Bildung und Kultur, bietet die Möglichkeit, während des laufenden Asylan­trags Kontakt zur juris­ti­schen Vertretung zu halten, sich über die deutsche Rechtslage zu infor­mieren oder Kontakt zu Famili­en­mit­gliedern, Freun­dinnen und Freunden zu halten.

Wir halten diesen menschenun­wür­digen Zustand für nicht länger hinnehmbar und setzen uns dafür ein, Asylsu­chenden ein Leben in Freiheit und Selbst­be­stimmung, ohne Kontrolle, Misstrauen und Isolation zu ermög­lichen. Wohnungen müssen hierfür dezentral organi­siert werden, eine Abkehr von der beste­henden Lager­praxis ist unabdingbar. Der Zugang zu Bildung, Kultur, Sprach­kursen und neuen, modernen Kommu­ni­ka­ti­ons­medien wie dem Internet muss barrie­refrei und kostenfrei sicher­ge­stellt sein.

Echte Existenz­si­cherung statt diskri­mi­nie­render Sonder­ge­setze

Das Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zum „Asylbe­wer­ber­leis­tungs­gesetz“ ist eindeutig und zeigt, dass es verfas­sungs­widrig ist, Asylsu­chende unter dem „Existenz­mi­nimum“ zu halten. Dies zeigt, wie stark Asylsu­chende bereits durch die Gesetz­gebung in ihrem Alltag diskri­mi­niert und einem selbst­be­stimmten Leben beraubt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass Asylsu­chende Anspruch auf Sozial­leis­tungen haben, ohne dabei diskri­mi­nie­rende Sonder­ge­setz­ge­bungen zu erhalten oder zu schaffen. Das Recht auf sichere Existenz und Teilhabe muss für alle Menschen gelten – auch und besonders für Schutz­su­chende.

5. Faires Asylver­fahren schaffen – Behör­den­gänge verein­fachen

Allen Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, muss genügend Zeit gegeben werden, die auf der Flucht und im Herkunftsland erlebten Gescheh­nisse zu verar­beiten. Dafür muss gewähr­leistet sein, dass Asylsu­chenden eine psycho­lo­gische Betreuung gestellt wird, die sie dabei unter­stützt und begleitet.

Um faire Chancen und Grund­lagen in einem Asylver­fahren zu schaffen, muss sicher­ge­stellt werden, dass sowohl genügend Zeit, als auch eine ausrei­chende Anzahl an quali­fi­zierten Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beitern vorhanden ist. Zudem ist von hekti­schen Pauschal­ur­teilen und der Hierar­chi­sierung unter bestimmten Gruppen von Flücht­lingen abzusehen, um eine echte Chancen­gleichheit zu schaffen. In Zeiten von erhöhtem Aufkommen an Asylsu­chenden ist hierfür eine Aufsto­ckung der Ressourcen beim Bundesamt für Migration und Flücht­linge zu gewähr­leisten, um unnötige und störende Warte­zeiten zu vermeiden. Hierbei darf es zu keinem Quali­täts­verlust der Beurtei­lungen und Entschei­dungen kommen, wie es im sogenannten „Schnell­ver­fahren“ der Fall ist.

Die Piraten­partei setzt sich außerdem dafür ein, Asylsu­chenden einen recht­lichen Anspruch auf eine juris­tische Vertretung sowie auf eine Dolmet­scherin oder einen Dolmet­scher zu gewähr­leisten, um diese nicht zusätzlich mit hohen Kosten, organi­sa­to­ri­schen Schwie­rig­keiten und sprach­lichen Barrieren zu belasten.

6. Für ein Ende von Abschie­bungen und Abschie­behaft

Wir setzen uns für ein generelles Ende von Abschie­bungen und der Abschie­behaft ein. Abschiebung ist ein staat­liches Mittel, welches nur mit Hilfe von Zwangs­maß­nahmen durch­ge­führt werden kann, die mit den Grund­rechten und Menschen­rechten in Konflikt stehen und einer demokra­ti­schen Gesell­schaft unwürdig sind. Die Konse­quenzen einer Abschiebung führen für den betrof­fenen Menschen fast immer in aussichtslose Situa­tionen und oft auch zu Gefahr für Leib und Leben.

Abschie­bungen in Krisen­re­gionen und in Gebiete, in denen die Verhält­nisse eine Gefahr für Gesundheit oder Leben darstellen können, sind abzulehnen. Botschafts­vor­füh­rungen zur Identi­täts­fest­stellung und Passer­satz­be­schaffung sind diskri­mi­nierend und daher ebenfalls abzulehnen. Die Abschie­behaft ist sofort bundesweit auszu­setzen. Inhaf­tierte Personen sind sofort zu entlassen.

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