Der Bundesparteitag in Neumarkt ist zuende. Und dauch wenn die Stimmung manchmal nicht so supi war, so haben wir doch eine ganze Menge geschafft. Neben der Wahl von drei neuen Mitgliedern im Bundesvorstand, die auch schon für Aufsehen gesorgt haben und der Diskussion über die Zwischen–Parteitagen–Beteiligung, neben der Anerkennung der Grünen Jugend als zweite Jugendorganisation, haben wir auch eine schöne Latte von Anträgen fürs Wahlprogramm beschlossen. Die Tagesschau hat eine schöne Zusammenfassung über die beschlossenen Anträge online gestellt und auch der Deutsche Welle-Artikel ist dazu lesenswert.
Ich freue mich natürlich persönlich auch sehr, dass unsere auf dem Asylplenum in Frankfurt ausgearbeiteten Anträge zu den Themen Migration und Asyl komplett angenommen wurden. Dies ist ein wichtiger Schritt und zeigt, dass sich die Piratenpartei als Teil einer internationalen Bewegung für eine menschenwürdige, solidarische, offene und pluralistische Gesellschaft einsetzt.
Außerdem bedeutet dies eine deutliche Weiterentwicklung im Vergleich zum Wahlprogramm zur Bundestagswahl im Jahre 2009. Um die Weiterentwicklung etwas eingängiger aufzuzeigen, habe ich die Unterschiede der beiden jeweiligen Wahlprogrammsbereiche für euch visualisiert:
Wahlprogramm Migration 2009:
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Wahlprgrogramm Migration 2013:
Für die Vielfalt in der Gesellschaft
Präambel
Migrationspolitik handelt von Menschen. Darum muss die Politik so gestaltet sein, dass sie auf die Erwartungen und Probleme der Betroffenen eingeht. Migrantinnen und Migranten sollen daher in alle Prozesse eingebunden sein, die ihre Möglichkeiten, Rechte und Pflichten betreffen.
Deutschland ist ein von Einwanderung geprägtes Land. Die Piratenpartei schätzt unsere pluralistische Gesellschaft, die von der Vielfalt der verschiedenen Menschen lebt.
Migration und Mobilität bereichern unsere Gesellschaft. Mobilität umfasst dabei ein größeres Konzept als Migration alleine, denn sie betrifft auch Kurzzeit-Besucher, Touristen, Studierende, Forschende, Geschäftsreisende oder Familienmitglieder auf Besuch. Wir setzen uns darum für eine mobilitätsfreundliche Visapolitik ein, die z.B. Lernen und Arbeiten von Menschen aus Drittstaaten erleichtert. Dieses Konzept muss auch auf europäischer Ebene etabliert und nationale Regelungen harmonisiert werden.
1. Für ein liberales Aufenthaltsrecht
Erleichterung des Ehegattennachzugs
Die Familie steht laut Grundgesetz unter besonderem Schutz. Dennoch ist es für Ehegatten, die aus Nicht-EU-Ländern stammen, Pflicht, noch vor der Einreise nach Deutschland einen Sprachkurs Deutsch zu belegen und erfolgreich abzuschließen. Wir Piraten sehen hierin vor allem eine Abschreckungsmaßnahme gegenüber Ehegatten, die finanziell nicht gut ausgestattet sind, da Deutschkurse im Ausland oft teuer und mitunter mit hohem Aufwand verbunden sind. Wir fordern die Abschaffung der verpflichtenden Deutschkenntnisse noch vor der Einreise. Es ist vollkommen ausreichend, wenn nachziehende Ehegatten hier vor Ort Deutschkurse belegen.
Legalisierung von Papierlosen
Wir brauchen eine intensivere Politik für Menschen, die sich ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufhalten, um deren Recht- und Perspektivlosigkeit zu beenden. Dabei ist es wichtig, dass sowohl langfristige Konzepte entwickelt als auch kurzfristige Maßnahmen durchgeführt werden. Betroffen sind zum Beispiel Migrantinnen und Migranten, die zwar als Arbeitskräfte im Haushalt, im Gastgewerbe oder in der Altenpflege sehr geschätzt sind, aber aus den verschiedensten Gründen (abgelehnte Asylanträge, abgelaufene Duldungen von Flüchtlingen aus Bürgerkriegsgebieten, Entzug des Aufenthaltsrechts, abgelaufene Visa, nicht erneuerte Arbeitsgenehmigungen, Verlust des Aufenthaltsrechts durch Scheidung) keine gültige Aufenthaltsbewilligung mehr haben.
Für diese Menschen wollen wir den Bildungszugang und die medizinische Versorgung sicherstellen. Bremen hat hierbei bereits Vorbildprojekte auf den Weg gebracht. Zudem fordern wir eine Initiative zur Legalisierung von Menschen, die sich ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland befinden. Diese sollen eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten, um einen geregeltes Leben in Würde führen zu können.
2. Staatsangehörigkeit – mehrfach und durch Geburt
Wir setzen uns für die Akzeptanz doppelter und mehrfacher Staatsangehörigkeiten ein, um die Hürde zur Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit und des damit verbundenen Wahlrechts zu senken. Der Zwang zur Entscheidung für eine Staatsangehörigkeit (Optionspflicht) entfällt. Menschen, die seit langem in Deutschland leben, sollen unabhängig von wirtschaftlichen Kriterien die Möglichkeit haben, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Dies ist Teil des Integrationsprozesses, nicht dessen Ziel.
Wir setzen uns für ein bedingungsloses Recht aller in Deutschland geborener Menschen, egal welcher Abstammung, auf die deutsche Staatsangehörigkeit ein.
3. Für die Teilhabe aller Menschen
Wir setzen uns für die Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen und politischen Leben ein. Dabei darf die Herkunft keine Vorbedingung für die Möglichkeit der Beteiligung spielen. Es ist wichtig, dass jeder Mensch auf die Politik, von der er direkt betroffen ist, Einfluss nehmen kann.
Wahlrecht und Bürgerbeteiligung für alle Menschen
Das Wahlrecht ist ein wichtiges Teilhaberecht. Wir setzen uns für das gleiche kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger wie für EU-Bürger ein, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit.
Auch die Beteiligung an weiteren politischen Prozessen, zum Beispiel Volksbegehren, -initiativen und -entscheiden, sowie das Einbringen und Unterzeichnen von Petitionen, soll unabhängig von der Staatsangehörigkeit möglich sein.
Stärkung der Interessenvertretung aller Menschen
Solange Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, setzen wir uns für die Stärkung von demokratisch gewählten, mit ausreichenden Ressourcen ausgestatteten Kommunalen Ausländervertretungen zur Artikulation der eigenen Interessen ein. Auch die Ausländerbeiräte und Integrationsbeiräte auf allen Ebenen sollen als Interessenvertretung finanziell und personell gestärkt werden.
4. Für eine moderne, weltoffene Verwaltung
Um eine vernünftige Gesellschaftspolitik zu gewährleisten, müssen die zuständigen Akteure über finanzielle Ausgestaltung und ausreichende Unabhängigkeit verfügen.
Unabhängigkeit und Kompetenz für die zuständigen Akteure
Wir fordern eine Stärkung des für Migrationsfragen zuständigen Staatsministeriums oder die Schaffung eines eigenen Bundesministeriums für Integrationsangelegenheiten, um die derzeit fragmentierten integrationspolitischen Aufgaben zu bündeln. Dabei werden die Verantwortungsbereiche unter den Ministerien des Innern, Arbeit und Soziales und Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu einem Bereich zusammengeführt. Integrationspolitik muss stringent und kohärent in einer Hand liegen. Interkulturelle Öffnung der Verwaltung
Um den Anforderungen einer vielfältigen Gesellschaft gerecht zu werden, setzen wir uns für die interkulturelle Öffnung der Verwaltung ein. Dies beinhaltet mehrsprachige Angebote in Formularen und auf Webseiten der Behörden sowie die Aus- und Weiterbildung von Bediensteten in interkultureller Kompetenz.
Diversität in der Verwaltung: Behörden gehen durch anonymisierte Bewerbungsverfahren mit gutem Beispiel voran
Damit Behörden auf die Interessen der Bevölkerung angemessen eingehen können, müssen sie die Diversität der Gesellschaft auch in ihren eigenen Reihen abbilden. Um dies zu erreichen, braucht es angemessene Bewerbungs- und Auswahlverfahren. Besondere Angebote für an Bewerbungen interessierte Menschen sollen Interesse und Selbstbewusstsein stärken und für mehr Bewerbungen aller gesellschaftlichen Gruppen sorgen. Die Piratenpartei Deutschland fordert anonymisierte Bewerbungsverfahren in der Verwaltung, um möglicher Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Nationalität, Aussehen, Alter oder weiterer nicht-einstellungsrelevanter Merkmale vorzubeugen.
5. Für eine tolerante und erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik
Arbeitsmarktpolitik sollte sich daran orientieren, Menschen in ihren Fähigkeiten zu bestärken, Vielfältigkeit anzuerkennen und Diskriminierung abzubauen. So können sowohl die Ziele, den Arbeitsmarkt offen und fair für alle Teilnehmer zu gestalten als auch, als Volkswirtschaft erfolgreich zu sein, erreicht werden.
Abschaffung des Mehr-Klassen-Systems auf dem Arbeitsmarkt
Wir wollen eine Mehr-Klassen-Situation auf dem Arbeitsmarkt beenden. Diskriminierungsmaßnahmen jeder Art stellen unnötige und unangemessene Hürden für die Menschen dar, schaffen unnötige Bürokratie für Arbeitgeber und behindern die Entwicklung der Wirtschaft. Wir setzen uns dafür ein, die gesetzliche Schlechterstellung von Menschen aus Nicht-EU-Staaten auf dem Arbeitsmarkt abzuschaffen. Außerdem soll die europaweite Übertragbarkeit von Sozial- und Rentenleistungen gefördert werden.
Anerkennung ausländischer Berufs- und Schulabschlüsse und Fähigkeiten
Durch die mangelnde Bereitschaft, ausländische Abschlüsse anzuerkennen, werden zum Teil hochqualifizierte Menschen an der Ausübung ihres erlernten Berufes oder an der Durchführung notwendiger Weiterbildungsmaßnahmen gehindert. Wir setzen uns für die Erleichterung der Anerkennung ausländischer Diplome und Zertifizierungen ein.
In vielen Ländern ist die hier traditionelle duale Berufsausbildung nicht üblich. Das ist vor allem problematisch für ausländische Arbeitnehmer, die schon mehrjährige fundierte Berufserfahrung haben. Für die Anerkennung von nicht formalisierten beruflichen Erfahrungen, Qualifikationen und besonderen Fähigkeiten aus anderen Ländern sollen geeignete Maßnahmen ergriffen werden. So könnte es zum Beispiel möglich sein, durch eine Prüfung vor den Industrie- und Handelskammern oder Handwerksinnungen eine der Berufsausbildung gleichwertige Zertifizierung zu erhalten. Wir setzen uns ein für diskriminierungsfreie Prüfinhalte, die interkulturelle Kompetenz und Mehrsprachigkeit wertschätzen.
6. Gegen Diskriminierung und für Toleranz
Wir sprechen uns dagegen aus, verschiedene gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen und dabei die Kriminalisierung von ganzen Volksgruppen mutwillig in Kauf zu nehmen. Gerade Antiziganismus ist hier als altes und neues Phänomen zu erwähnen, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht.
Toleranz muss gleichzeitig Grundlage und Ziel des politischen Handelns sein. Die Bundesrepublik Deutschland muss sich ihrer Rolle als ausgleichender Faktor in der Mitte Europas stellen und ihrer historischen Verantwortung gerecht werden.
Diskriminierung auf allen Ebenen begegnen
Noch immer werden viele Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer äußerer Merkmale im alltäglichen Leben (z.B. bei der Vergabe von Wohnraum, Ausbildungs- und Arbeitsplätzen) benachteiligt. Gegen Diskriminierungen dieser Art sind gezielte Maßnahmen zu ergreifen. Statt einseitig bei Verhalten und Befähigungen der Benachteiligten anzusetzen, müssen diskriminierende Strukturen aufgedeckt, reflektiert und wirksam bekämpft werden.
Projektförderung
Die Förderung von Toleranz und der Kampf gegen Diskriminierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zur Unterstützung der beteiligten Gruppen sind ausreichende finanzielle Mittel bereit zu stellen. Den Versuch, Rassismus, Diskriminierung, Intoleranz und Rechtsextremismus mit verschiedenen Formen politischen Protests gleichzusetzen, lehnen wir ab. Die Extremismusklausel stellt einen staatlichen Generalverdacht gegen zivilgesellschaftliches Engagement dar und gehört umgehend abgeschafft.
Nachvollziehbare und verantwortliche Erstellung von Studien
Studien, die im Zusammenhang mit der Diversität der Gesellschaft erstellt werden, sollen grundsätzlich nachvollziehbar und transparent und unter Hinzunahme von externer Expertise aus Forschung und Wissenschaft erarbeitet und zeitnah veröffentlicht werden.
7. Chancengleichheit im Bildungssystem
Die Piratenpartei setzt sich für mehr Chancengleichheit ein: Die sozio-kulturelle Herkunft darf nicht mehr über den Bildungserfolg entscheiden.
Chancengleichheit durch gemeinsames Lernen
Um Chancengleichheit zu erreichen, setzen wir uns für ein gemeinsames Lernen von Kindern mit verschiedenem sozialen Hintergrund ein. Den unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen der Lernenden soll mit Achtung begegnet werden.
Mehrsprachigkeit ist ein Wert, den es zu fördern gilt. Wir begrüßen muttersprachlichen Unterricht zur Festigung der Muttersprache und zum leichteren Erwerb des Deutschen. Dies darf jedoch nicht mit Selektion der Lernenden in verschiedenen Klassen anhand von Sprache und Herkunft einhergehen. Der muttersprachliche Unterricht sollte bestehende Sprachfähigkeiten zertifizieren und somit als Qualifikation wertschätzen. Die Didaktik von „Deutsch als Zweitsprache“ soll stärker in die Lehrerausbildung und die Fortbildungen eingehen.
Lehrkräfte fördern und sensibilisieren
Es gehört zu gelungener Inklusion, wenn auch Migrantinnen und Migranten als Lehrkräfte tätig sind. Dies hilft Kindern ohne Migrationshintergrund, Migranten zu respektieren, und Kindern mit Migrationshintergrund, sich die Lehrkräfte als Vorbild zu nehmen. Wir schlagen die Vergabe von Stipendien für Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund vor, um diese zum Lehramtsstudium zu ermutigen und sie zu fördern.
Lehrkräfte müssen in ihrer Aus- und Weiterbildung sensibilisiert werden, wie sich Selektionsmechanismen auswirken. Ihnen sollte beispielsweise vermittelt werden, wie sich ihre eigene Herkunft, Bildung und gesellschaftliche Positionierung unbeabsichtigt auf ihren Unterricht und ihre Leistungsbewertungen auswirkt.
Freier Zugang zu Deutschkursen
Zur Zeit wird die Kursgebühr für die verpflichtenden Deutschkurse für Zuwandernde bis zum Sprachniveau B1 übernommen, wenn diese nicht in der Lage sind, die Kursgebühr aufzubringen (z.B. ALG II beziehen). Dieses Sprachniveau reicht gerade aus, um einfachen Berufstätigkeiten nachzugehen. Für ein Studium jedoch ist zum Beispiel das höhere Niveau C2 Voraussetzung. Wir fordern, dass die Sprachkurse generell kostenfrei sind, um Inklusionsbarrieren abzubauen, oder dass zumindest die Kursgebühren für Bedürftige auch für weiterführende Kurse übernommen werden.
Und hier noch der Vergleich im Bereich Asyl:
Wahlprogramm Asyl 2009:
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Wahlprogramm Asyl 2013:
Für eine solidarische Asylpolitik – Menschenrechte gelten für alle!
1. Grundsätze:
Die Piratenpartei Deutschland steht für eine offene, freie und pluralistische Gesellschaft ein, in der verschiedene Kulturen, Weltanschauungen und Religionen friedlich gemeinsam leben können. Wir setzen uns deshalb für eine solidarische und menschenwürdige Asylpolitik ein, die am Wohl und Schutz der asylsuchenden Menschen interessiert ist und auf Instrumente zur Abschreckung, Isolation und Diskriminierung ausnahmslos verzichtet. Asylpolitik muss immer nach humanitären und nicht nach nationalstaatlichen oder wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet sein.
2. Asylgründe erweitern und Hürden für Aufenthaltserlaubnis senken
Durch die Änderungen des Art.16 GG im sogenannten Asylkompromiss ist das Recht, in Deutschland Asyl zu erhalten, drastisch eingeschränkt worden. Wir streben als ersten Schritt die vollständige Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl, „politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (Art. 16 GG alt) an. Darüber hinaus müssen Menschen, die vor Diskriminierung, der Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität, vor Klima- und Umweltkatastrophen, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe oder wegen der Existenzbedrohung durch Armut und Hunger geflohen sind, hier ebenfalls als asylberechtigt anerkannt werden. Eine Hierarchisierung von Fluchtgründen lehnen wir ab. Außerdem lehnen wir pauschale Kategorisierungen von Staaten als „sichere Herkunftsländer“ ab. Schutzsuchende haben ein Recht auf individuelle Prüfung ihrer Situation. Bei der Prüfung, ob eine Berechtigung zum Asyl vorliegt, ist im Zweifel zu Gunsten der Asylsuchenden zu entscheiden. Dabei ist auf diskriminierende und inhumane Beweisverfahren zu verzichten.
3. Offenere Grenzen statt der Festung Europa
An den Außengrenzen der Europäischen Union wird seit Jahren eine zunehmende Abriegelung angestrebt und umgesetzt, die Flüchtlingen den Zugang nach Europa immer stärker versperrt. Durch nationale Polizeibehörden, das Militär und private Sicherheitsunternehmen sowie die Europäische Grenzschutzagentur FRONTEX werden Menschen gewaltsam am Betreten der EU gehindert und damit der Chance beraubt, durch einen Asylantrag Schutz in Europa zu finden. Dabei wird eine Gefährdung von Gesundheit und Leben der Flüchtenden billigend in Kauf genommen. Die Berichte von sogenannten „boat people“, die mit Schiffen nach Europa fliehen wollten und dort ertrinken, obwohl Hilfe möglich gewesen wäre, machen uns betroffen und zeigen, dass hier unbedingt gehandelt werden muss.
Statt die Abriegelung Europas weiter voranzutreiben, muss die EU Maßnahmen zur sicheren Grenzüberquerung von flüchtenden Menschen, besonders auf den Meeren vor Europa, treffen, um diesen die Möglichkeit zu geben, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Rettungsaktionen sollen staatlich organisiert werden. Sie durchzuführen ist nicht die Aufgabe der Zivilgesellschaft. Wo dies geschieht, dürfen Rettende für ihre Zivilcourage weder behindert noch kriminalisiert werden. Wir kritisieren die momentane Praxis, immer neue Straftatbestände zu konstruieren, um Schutzsuchende zu inhaftieren.
Freie Wahl des Aufenthaltsortes für alle Menschen
Durch vermehrte technische Überwachung an den Grenzen, zunehmende Datensammlungen über einreisende Personen (z. B. „smart borders“, EURODAC) und die Ausweitung polizeilicher Befugnisse wird deutlich, dass die Europäische Union nicht an der Aufnahme von schutzsuchenden Menschen interessiert ist, sondern auf Abschottung setzt.
Die Drittstaatenregelung und deren Konkretisierung in den „Dublin“-Verordnungen lehnen wir ab. Durch diese Regelung drücken sich zentral gelegene Staaten wie Deutschland vor der Verantwortung den Schutzsuchenden gegenüber. Jedem Menschen muss das Recht auf freie Wahl seines Aufenthaltsortes gewährt werden. Daraus resultiert auch, dass jedem Menschen die Möglichkeit gegeben werden muss, in dem Land seiner Wahl Asyl zu beantragen. Die bevormundende Verschiebungspraxis der EU lehnen wir ab.
4. Grundrechte auf alle Menschen ausweiten
Aktuell werden Asylsuchende in einem nicht hinnehmbaren Maße vom gesellschaftlichen Zusammenleben ausgeschlossen und dadurch zu einem Leben in Isolation und Abschottung gezwungen.
Durch restriktive Vorschriften, wie z. B. die Residenzpflicht, wird ihre Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt und ein freizügiges, selbstbestimmtes Leben, ebenso wie die Beteiligung an politischen oder sozialen Veranstaltungen, nahezu unmöglich gemacht. Wir setzen uns dafür ein, dass Asylsuchenden die Möglichkeit gegeben wird, sich frei und unkontrolliert im gesamten Gebiet der Europäischen Union zu bewegen. Isolation beenden – menschenwürdige und dezentrale Unterkünfte schaffen! Durch die Unterbringung in Lagern und Gemeinschaftsunterkünften, die zumeist einem maroden Zustand vorweisen und abgelegen von Stadtkernen liegen, sind Asylsuchende zu einem isolierten Leben gezwungen. Durch die Residenzpflicht sind Asylsuchende zudem häufig an einzelne Gemeinden oder Landkreise gebunden, wodurch ihnen die Möglichkeit genommen wird, Freundinnen und Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder außerhalb der Kreisgrenzen zu besuchen.
Erschwert wird diese Situation dadurch, dass kein Anspruch auf den Zugang zu neuen Medien, wie dem Internet, besteht. Ein Internetanschluss bietet leichten Zugang zu Bildung und Kultur, bietet die Möglichkeit, während des laufenden Asylantrags Kontakt zur juristischen Vertretung zu halten, sich über die deutsche Rechtslage zu informieren oder Kontakt zu Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden zu halten.
Wir halten diesen menschenunwürdigen Zustand für nicht länger hinnehmbar und setzen uns dafür ein, Asylsuchenden ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung, ohne Kontrolle, Misstrauen und Isolation zu ermöglichen. Wohnungen müssen hierfür dezentral organisiert werden, eine Abkehr von der bestehenden Lagerpraxis ist unabdingbar. Der Zugang zu Bildung, Kultur, Sprachkursen und neuen, modernen Kommunikationsmedien wie dem Internet muss barrierefrei und kostenfrei sichergestellt sein.
Echte Existenzsicherung statt diskriminierender Sondergesetze
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum „Asylbewerberleistungsgesetz“ ist eindeutig und zeigt, dass es verfassungswidrig ist, Asylsuchende unter dem „Existenzminimum“ zu halten. Dies zeigt, wie stark Asylsuchende bereits durch die Gesetzgebung in ihrem Alltag diskriminiert und einem selbstbestimmten Leben beraubt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass Asylsuchende Anspruch auf Sozialleistungen haben, ohne dabei diskriminierende Sondergesetzgebungen zu erhalten oder zu schaffen. Das Recht auf sichere Existenz und Teilhabe muss für alle Menschen gelten – auch und besonders für Schutzsuchende.
5. Faires Asylverfahren schaffen – Behördengänge vereinfachen
Allen Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, muss genügend Zeit gegeben werden, die auf der Flucht und im Herkunftsland erlebten Geschehnisse zu verarbeiten. Dafür muss gewährleistet sein, dass Asylsuchenden eine psychologische Betreuung gestellt wird, die sie dabei unterstützt und begleitet.
Um faire Chancen und Grundlagen in einem Asylverfahren zu schaffen, muss sichergestellt werden, dass sowohl genügend Zeit, als auch eine ausreichende Anzahl an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorhanden ist. Zudem ist von hektischen Pauschalurteilen und der Hierarchisierung unter bestimmten Gruppen von Flüchtlingen abzusehen, um eine echte Chancengleichheit zu schaffen. In Zeiten von erhöhtem Aufkommen an Asylsuchenden ist hierfür eine Aufstockung der Ressourcen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu gewährleisten, um unnötige und störende Wartezeiten zu vermeiden. Hierbei darf es zu keinem Qualitätsverlust der Beurteilungen und Entscheidungen kommen, wie es im sogenannten „Schnellverfahren“ der Fall ist.
Die Piratenpartei setzt sich außerdem dafür ein, Asylsuchenden einen rechtlichen Anspruch auf eine juristische Vertretung sowie auf eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher zu gewährleisten, um diese nicht zusätzlich mit hohen Kosten, organisatorischen Schwierigkeiten und sprachlichen Barrieren zu belasten.
6. Für ein Ende von Abschiebungen und Abschiebehaft
Wir setzen uns für ein generelles Ende von Abschiebungen und der Abschiebehaft ein. Abschiebung ist ein staatliches Mittel, welches nur mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden kann, die mit den Grundrechten und Menschenrechten in Konflikt stehen und einer demokratischen Gesellschaft unwürdig sind. Die Konsequenzen einer Abschiebung führen für den betroffenen Menschen fast immer in aussichtslose Situationen und oft auch zu Gefahr für Leib und Leben.
Abschiebungen in Krisenregionen und in Gebiete, in denen die Verhältnisse eine Gefahr für Gesundheit oder Leben darstellen können, sind abzulehnen. Botschaftsvorführungen zur Identitätsfeststellung und Passersatzbeschaffung sind diskriminierend und daher ebenfalls abzulehnen. Die Abschiebehaft ist sofort bundesweit auszusetzen. Inhaftierte Personen sind sofort zu entlassen.
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