Grüne Halbsta­li­nisten in Nazi-Tradition? – Zur Umbenennung des Vorplatzes des Jüdi­schen Museums

„Die Grünen in Fried­richshain-Kreuzberg erweisen sich als antiurban und gesitig eingleisig; im Zweifels­falle agieren sie halbsta­li­nis­tisch. So wie die CSU ihre Herdprämie durch­setzt, pauken sie ihre Frauen­namen durch. Argumente zählen für sie nicht. […] 1933 schei­terte sein Versuch, weltlicher Vernunft eine Gasse zu bahnen, auf tragische Weise. Morgen – 80 Jahre später – folgt womöglich die Farce, und der Versuch, Moses Mendelssohn an einem ihm würdigen Ort zu ehren, scheitert an den mittler­weile grünen, aber ewigen deutschen Spießern und Sperinnen.“ (Götz Aly, 23.4.2013)

In Kreuzberg wird der Vorplatz des Jüdi­schen Museums umbenannt – nach einer jüdi­schen Person, so viel steht fest – und die Stadt steht Kopf. Zumindest medial. Momentan über­schlagen sich Autoren und Kommen­ta­toren darin, sich über im Bezirk prakti­zierte Prinzipien aufzu­regen. Eines davon ist: Bei der Benennung von Straßen und Plätzen ist darauf zu achten, Frauen zu bevor­zugen, solange der Männer­über­schuss auf den Straßen­schildern noch so massiv ist. Für Ufer, Kreisel, Schulen und vieles weitere gilt das übrigens nicht. Ausnahmen sind natürlich möglich, gerade wenn es Bürge­rent­scheide zugunsten eines männ­lichen Namens­gebers gegeben hat.

In Morgenpost und Süddeutsche, Spiegel und dem Deutsch­landfunk und der Jüdi­schen Allge­meinen wird berichtet. Ganz weit vorne in seiner Empörung ist Götz Aly. Der von mir in der Regel geschätzte Histo­riker hat eine wöchent­liche Kolumne in der Berliner Zeitung. Gestern führte er eine drastische Bewertung der Situation durch. (Der Link funktio­niert momentan nicht. Hier ist ein Scan des Beitrags. Hier ein anderer Link.) Damit schafft Aly, was man eigentlich nicht für möglich halten sollte: Er über­trifft den Berufs-Empörer Gunnar Schupelius, der sich bereits am Montag über das Thema echauf­fierte, im Ton und Stil. Damit schießt er – wie ich finde – weit über das Ziel hinaus und auch über das, was ich von einem seriösen Medium gewohnt bin. Oder habe ich irgendwas verpasst und die Titulierung einer Partei als  „Halbsta­li­nisten“ in der Tradition von 1933 ist mittler­weile üblich?

Dabei darf man das Thema ja auch durchaus kontrovers disku­tieren. Auch ich habe mich schon in der einen oder anderen Situation über diese grüne Vorge­hens­weise gewundert. Aber dass der Bezirk in dieser Frage nun besonders verbohrt sei, kann ich gerade nicht erkennen. Schließlich wurde neben dem Vorschlag des Stiftungsrats für Moses Mendelssohn der Vorschlag einge­bracht, die Straße nach Fromet und Moses Mendelssohn zu benennen. Und auch Rahel Varnhagen (1771-1833) hat nicht gerade einen kurzen Wikipedia-Artikel: Die Schrift­stel­lerin der Romantik trat für die jüdische Emanzi­pation und die Emanzi­pation der Frauen ein. Hannah Arendt schrieb ihre politische Biografie ‚Lebens­ge­schichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik‘. Nichts wofür ein jüdi­sches Museum sich schämen müsste. Und übrigens: Der Ansatz, Anwohner bei Umbenen­nungen bevorzugt einzu­be­ziehen, gilt natürlich vor allem für Menschen und nur bedingt für Museen und Unter­nehmen (siehe den Fall Daimler). Und es gibt natürlich schon Schulen, Zentren und Stiftungen, sicher auch Brücken und Ufer, die nach Moses Mendelssohn benannt sind, nur eben noch keine Straße oder Platz. Insofern denke ich, dass es an der Zeit wäre, ein wenig abzurüsten und sich mit weniger Kampf­be­griffen zu bezeichnen, nur weil man gerade seinen Willen nicht bekommt.

Die Piraten im Bezirk hatten noch eine weitere Idee, die hier noch vorstellt werden soll. Der folgende Text ist von Lena Rohrbach:

Vorplatz­be­nennung Jüdi­sches Museum – die Geschichte mit der „Haskala“

Seit nun schon einiger Zeit streitet die BVV darüber, wie der Vorplatz des Jüdi­schen Museums benannt werden soll. Der Platz, an dem das Jüdische Museum auch ein „Education Center“ einrichten möchte, gehört (auf Wunsch des Jüdi­schen Museums) dem Bezirk. Damit unter­liegt er einem demokra­tisch gefassten BVV-Beschluss von 2005, dass Straßen und Plätze nach Frauen benannt werden sollen: Derzeit heißen die meisten Straßen und Plätze nach Männern. Das Jüdische Museum wünschte sich für den Platz aller­dings den Namen Moses Mendelssohn, also einen Männer­namen. Im Fried­richshain-Kreuz­berger Bezirks­liquid wurde ein Kompromiss vorge­schlagen, den ich zu diesem Zeitpunkt sehr über­zeugend fand: Wir könnten, so der Vorschlag, den Platz doch einfach nach einer Bewegung benennen. Die „Haskala“, eine jüdische Aufklä­rungs­be­wegung (die übrigens auch im Hebräi­schen einen weiblichen Artikel hat), bekam ein positives Liquid-Votum. An LQFB-Beschlüsse wollen wir uns möglichst halten, außerdem erschien uns der Vorschlag auch inhaltlich eine prima Idee. Jana und ich stellten ihn also auf einer Sitzung des Ausschusses für Frauen, Gleich­stellung und Queer ausführlich vor. Auf der Sitzung waren auch zwei Vertre­te­rinnen des jüdi­schen Museums, der auf jüdische Geschichte spezia­li­sierte Histo­riker Götz Aly und eine Vertre­terin der Presse anwesend. Wir erklärten, warum der Name „Haskala“ unser Problem lösen könne (kein Perso­nenname) und dass der Wunschname des Jüdi­schen Museums, Moses Mendelssohn, sogar auf Zusatz­schildern doch noch zum Tragen kommen könne: Er war nämlich ein bedeu­tender Wegbe­reiter der Bewegung. Mehrere Vertre­te­rinnen anderer Parteien fanden den Vorschlag gut. Die Vertre­te­rinnen des Jüdi­schen Museums und Götz Aly aller­dings lehnten den Vorschlag massiv ab. Wir ließen nicht locker, sondern fragten nach bis wir eine konkrete Begründung erhielten. Diese lautete wie folgt: Die Haskala habe ein Integra­ti­ons­ver­ständnis vertreten, das eher Assimi­lation der Jüdinnen und Juden bedeutet habe. Die Bewegung habe die Vorstellung gehabt, dass Juden soweit wie die christ­liche Mehrheits­ge­sell­schaft werden könnten, dass es keine Diskri­mi­nierung der jüdi­schen Bevöl­kerung mehr gebe. Spätestens mit der Shoah, so ergänzte Aly, habe diese Hoffnung ein brutales Ende gefunden. Ein Verständnis des Zusam­men­lebens, das auf Assimi­lation hinaus­laufe, sei weder zeitge­mäß und noch wünschenswert.

Inwiefern diese histo­rische Bewertung zutrifft – und inwiefern sie dann nicht auch auf Moses Mendelssohn als Wegbe­reiter der Haskala zutreffen müsste – können wir als Nichts­pe­zia­lis­tinnen nur wenig beurteilen. Wie fast jede Bewegung wurde auch die Haskala von durchaus unter­schied­lichen Menschen getragen und einiges wird eine Frage der histo­ri­schen Gewichtung verschie­dener Facetten sein. Dennoch haben uns die vorge­tra­genen Bedenken dazu bewegt, den Namen Haskala nicht weiter offensiv und gegen den Wider­stand des Jüdi­schen Museums zu vertreten. Das war auch deshalb möglich, weil sich zwei neue Kompro­miss­vor­schläge abzeich­neten.

Die histo­rische Bewertung der Haskala ist offenbar umstrit­tener, als uns zuvor bewusst war.
Wir nehmen an, dass dies bei der LQFB-Abstimmung nicht bekannt waren, also einen neuen Fakt darstellt, der es recht­fertigt, dass wir nicht weiter auf die Haskala gedrängt haben – wir haben es wie gesagt ausführlich und standhaft getan, bevor wir über die Bewertung der Bewegung seitens des Jüdi­schen Museums und Aly infor­miert wurden. Wir hoffen, liebe Xhainer Basis, ihr seid mit unserem Verhalten einver­standen.

Ein Kommentar zu “Grüne Halbsta­li­nisten in Nazi-Tradition? – Zur Umbenennung des Vorplatzes des Jüdi­schen Museums

  1. Ich sehe das Vorgeplänkel mit gemischten Gefühlen. Hier steht Aufklärung gegen Religion bzw. Romantik.
    Wenn das Jüdische Museum nicht mit der Haskala als Straßennamen leben kann, dann sollte das auch hoch gewichtet werden – insofern kann ich mit der Entscheidung der Fraktion leben.
    Aus historischen Gründen, gibt es leider weniger prominente Frauen als Männer in der Berliner/ Deutschen Geschichte. Ich denke, es ist ein langer Prozess, um ein Gleichgewicht zu erreichen – das lässt sich nicht übers Knie brechen.
    Moses Mendelssohn für den Straßennahmen favorisiere ich nach dem jetzigen Kenntnisstand.

    Sich auf Götz Aly zu berufen, finde ich dagegen suboptimal – der ist mir aus der Kolumne als Polemiker, der ist nicht so genau nimmt, bekannt.

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