Partei­tags­nachlese #BPT112 – Zwei Schritte vor, einen zurück

Der 9. Bunde­s­par­teitag der Piraten­partei Deutschland ist zu Ende. Mit über 1350 Teilnehmern ist das der von den Teilneh­mer­zahlen her größte Parteitag bisher. Dass man auch mit etwa dreimal so vielen Teilnehmern wie bei anderen Parteien üblich, die zudem zum Teil sehr unerfahren und erst seit kurzem Partei­mit­glied sind, konse­quent und konzen­triert arbeiten kann, hat auch erfreut. Eine Liste mit den angenom­menen/zurück­ge­zo­genen/abgelehnten Anträgen findet sich hier. Hier ist nun meine persön­liche Nachlese mit den Themen­be­reichen, die für mich persönlich am wichtigsten waren.

Migration/Asylpo­litik

Hier haben wir uns nach Berlin mittler­weile auch auf Bundes­ebene ein solides migra­ti­ons­po­li­ti­sches Programm gegeben. Zusätzlich zum Antrag Engagement gegen Rechts­ex­tre­mismus wurden die Program­man­träge Gemeinsam gegen Rassismus und Migration berei­chert die Gesell­schaft verab­schiedet. Hier wird neben dem Aufzeigen der binnen­wirt­schaft­lichen Notwen­dig­keiten für Migration und den Vorteilen für unsere Gesell­schaft auch die Perspektive auf Asylbe­werber und Migranten selbst gelegt. Gefordert wird die Gewährung von Hilfe  für Menschen, die in Europa Zuflucht vor Verfolgung und Krieg suchen, Bewegungs­freiheit und die Teilhabe an der Arbeitswelt, Bildung und Kultur.

BGE

Nachdem wir 2010 schon das Recht auf sichere Existenz und gesell­schaft­liche Teilhabe (kurz: ResET) ins Partei­pro­gramm schrieben, haben wir uns nun explizit für das Grund­ein­kommen als Forderung im Wahlpro­gramm ausge­sprochen. Der Antrag von Johannes Ponader und Georg Jähnig (der auch schon ResET beantragt hatte) will 2013 eine Enquete-Kommission im Bundestag einsetzen (wie ich auch schon auf ORF 2 gefordert habe), die Modelle ausar­beitet, um der realen Umsetzung näher zu kommen.

Nicht jeder war darüber ganz glücklich. Der Tiefpunkt des Parteitags war aber wohl trotzdem ein Antrag am Sonntag morgen, den beschlos­senen Program­mantrag vom Samstag zu wieder­holen, da er mit einer denkbar knappen Mehrheit von 5 (bzw. 8) Stimmen die 2/3-Mehrheit erreicht habe. Ein Antrag wohlge­merkt an mehrere hundert Piraten weniger, als am Samstag mittag das BGE gewählt haben.

Zusätzlich wurde in einem Positi­ons­papier „Hartz4“ auf der Ebene der „Höhe des Regel­be­darfs“, „Sanktionen“, „Zuver­dienst­mög­lich­keiten“, „Bedarfs­ge­mein­schaften“ und „Erwerbs­fä­higkeit“ kriti­siert.

Piraten­appell pro Europa

Als europäische Partei und Arm einer globalen Bewegung ist es natürlich etwas peinlich, zu Europa-Fragen ständig schweigen zu müssen. Ein Argument gegen eine zu ausge­feilte Positio­nierung ist die, dass man dies mit anderen Piraten­par­teien gemeinsam entwi­ckeln will. Trotzdem sollte man die grund­sätz­lichen Positionen, von denen ich sicher bin, dass sie von einer Mehrheit der Piraten geteilt wird, auch kodifi­zieren. Dies ist nun schon einmal in einem ersten Schritt gelungen mit dem Piraten­appell pro Europa. Die weiteren Anträge zu Europa wurden – abgesehen von einer Kritik am Zustan­de­kommen des ESM-Vertrages – abgelehnt oder zurück­ge­zogen. Ein vielbe­ach­teter Antrag gegen die Über­nahme von Schuld­ver­pflich­tungen Deutsch­lands von anderen europäi­schen Ländern, der von Frank Schäffler kopiert wurde, wurde im Laufe der Diskussion zurück­ge­zogen. Von den 1250 Piraten im Raum fand sich keiner, der diesen über­nehmen wollte.

Im Weiteren zu nennen sind die erfolg­reichen Berliner Anträge zur Trennung von Staat und Religion, sowie zu Drogen– und Sucht­po­litik und zum fahrschein­losen ÖPNV.

Rück­schritte Urheber­recht

Wirklich schade fand ich letzt­endlich aber die wenig progressive Vorlage zum Thema Urheber­recht für das Wahlpro­gramm. Entgegen der Anträge von Andi Popp entschied man sich letzt­endlich für den Antrag „Reform des Urheber­rechts – Stärkung der Inter­essen von Urhebern und Allge­meinheit“  von Christian Hufgard, der aber lediglich auf einen externen Link von Daniel Neumann verweist. Darin ist unter anderem zu lesen:

Weitere Kürzungen von Schutz­fristen

Um weitere Kürzungen von Schutz­fristen bei bestimmten Werks­arten zu ermög­lichen, sind diese so zu wählen, dass sie keine nachweis­lichen Einschnitte für die Urheber in ihren Vermö­gens­rechte bedeuten. (Betrifft beispiels­weise die Fristen für Filme und Software)“

Als Vorschlag für eine Schutz­frist-Verkürzung wird nun eine „Verkürzung“ der Schutz­frist auf 10 Jahre nach dem Tod des Urhebers vorge­schlagen. Damit liegen wir nicht nur hinter unserer eigenen EU-Fraktion (20 Jahre nach Erstver­öf­fent­li­chung) zurück, wir hatten uns eigentlich 2010 schon darauf geeinigt, dass wir eine Schutz­frist von nur 10 Jahren nach Veröf­fent­li­chung für geeignet halten. Zurecht kriti­siert Netzpo­litik hier die hohe Laufzeit. Ich vermute, dass uns dies durch­ge­rutscht ist und denke, dass wir da auf den nächsten Partei­tagen noch nachjus­tieren werden, wenn wir uns dann so richtig ans Wahlpro­gramm machen werden.

Trotz dieser Schritt zurück halte ich den Parteitag jedoch sowohl inhaltlich, medial, sozial und organi­sa­to­risch für einen Riesen­erfolg und bedanke mich dafür bei allen Betei­ligten, vor allem dem ganzen Orgateam.

5 Kommentare zu “Partei­tags­nachlese #BPT112 – Zwei Schritte vor, einen zurück

  1. Tut mir leid Fabio,
    dann ist Dir offensichtlich entgangen, zu welchen tiefgreifenden Irritationen in der Partei der Beschluss zur Laufzeitverkürzung auf 10 Jahre in dem Positionspapier von Chemnitz geführt hat. Auch wenn es zugegebenermaßen eine einflussreiche Gruppe innerhalb der Partei gibt, die sich für radikale Laufzeitverkürzung stark macht, gibt es ebenso, sehr viele Stimmen in der Partei, die das vehement ablehnen. Die lebenslange Laufzeit ist uns nicht einfach so durchgerutscht, sondern wird von Vielen in der Partei (gerade von denen die selbst als Urheber tätig sind) als unerlässlich gesehen, wenn man das Urheber recht gemeinsam mit den Kreativen und nicht gegen sie reformieren will.

    • Hallo Jan,
      die von dir genannten Irritationen sind in der Tat komplett an mir vorbeigegangen. Da ich eigentlich recht gut vernetzt bin, spricht das nicht gerade für die Kommunikation der Kreativinnen und Kreativen contra Laufzeitverkürzng in der Partei. Dass es da angeblich eine längere Debatte gegeben haben soll, deren Konsenquenz in Konsens am Schluss geheißen haben soll, dass der Beschluss von Chemnitz falsch war, glaube ich so in der Form auch nicht. Immerhin ist der Antrag von Andi im LQFB noch im Oktober 2011 mit 429 zu 76 Stimmen angenommen worden: https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/1870.html während der „10 Jahre nach dem Tod“ immer abgelehnt wurde: https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/3.html
      Aber zumindest gab es ja eine längere Debatte auf dem Parteitag. Ob es nun letztendlich wirklich ein klares „Ja“ zu diesem Antrag war oder doch eher ein „Nein“ zum Antrag von Andi Popp mit dem dringenden Bedürfnis trotzdem etwas zu verabschieden, vermag ich nicht sagen. Jedenfalls haben wir ja nicht nur ganz konkret über die Zahlen abgestimmt, was man wohl eher als Beweis nehmen könnte, dass der Wille dort eindeutig wäre.
      Fabio

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