Am Donnerstag, den 26. Mai 2016, im Plenum des Abgeordnetenhaus gehaltene Rede zur Aktuellen Stunde zu Integrations- und Flüchtlingspolitik im Land Berlin.
Am Dienstag, dem 24. Mai 2016, hat der Senat den sogenannten Masterplan Integration und Sicherheit beschlossen, bestehend aus sieben Stationen der Integration auf 84 Seiten. Beim Lesen des Papiers entsteht der Eindruck, als hätte jede Verwaltung ein paar Maßnahmen, die entweder schon laufen oder die in den Haushaltsentwurf nicht mehr hineingepasst haben, reinschreiben dürfen; als versuchten der Senat und McKinsey es allen Beteiligten recht zu machen und alle Wünsche aufzunehmen. Aber zur Bewertung des Papiers stellen sich die Fragen: Woher kommt es eigentlich? Was bedeutet es für die Betroffenen konkret? Und lässt es sich mit dem bisherigen Handeln in Einklang bringen?
Es scheint üblich zu sein, dass, wenn ein Regierender Bürgermeister etwas zur Chefsache erklärt, erstmal eine mittlere oder große Katastrophe passiert. So auch diesmal. Anstatt über Inhalte ging es erst einmal darum, die eigene Klientel / die eigenen Genoss*innen zu bedienen. Darum, wer wem was zuschustern wollte und wie welche Ausschreibugsregeln verletzt hat. Dabei gab es zwei konkrete Motivationen für den Masterplan:
1. Tiefes gegenseitiges Misstrauen zwischen den beiden Parteien (kurz vor dem Koalitionsbruch) was Michael Müller dazu bringt am Koalitionspartner vorbei zu sagen, er müsse sich um den gesamten Bereich Integration und Unterbringung persönlich kümmern. Das ist sicherlich besser, als einfach nichts zu tun, aber es wirft die Frage auf: Wer soll denn noch Vertrauen in den für die Unterbringung Zuständigen haben, wenn sogar der eigene Koalitionspartner ihm so offen das Misstrauen erklärt?
2. Der Wunsch, dem Bund mehr Geld aus den Rippen zu leiern, indem man einen Maßnahmenplan mit Preisschildern erstellt. Auch das ist ein nachvollziehbarer Wunsch. Wir wollen mehr Geld vom Bund, da sind sich hier immer alle einig. Nur war das Gespräch am 22. April und auch die folgenden bislang nicht erfolgreich. In den 390 Mio. EUR ist eben auch das Geld vom Bund mit eingeplant. Eine Gegenfinanzierung über den Haushalt gibt es noch nicht. Das bestätigte auch StS Feiler gestern noch einmal im Hauptausschuss. Dann muss man auch so ehrlich sein und sagen, dass die Absicht, den Bund als Mitfinanzier einzuspannen, bislang nicht erfolgreich war und ein Großteil der Maßnahmen nicht gegenfinanziert ist.
Das bringt uns dann auch gleich zur Frage, was dieses viel diskutierte, kürzlich vom Senat beschlossene und jetzt dem Parlament zugeleitete, nicht gegenfinanzierte Papier konkret ist. Eine Verbindlichkeit im juristischen Sinne kann man aus diesem Papier nicht ableiten. Es hat keinen Gesetzes-, noch nicht einmal Weisungscharakter. Eine moralische Verbindlichkeit für die nächste Regierung kann es nicht haben. Die Parteien haben Wahlprogramme, in denen andere Dinge drin stehen. Nach der Wahl gibt es Koalitionsverhandlungen, in denen andere Dinge beschlossen werden. Was die frühere Regierung mal macht, kann nicht Maßstab des Handelns sein.
Insofern bleibt ein in weiten Teilen gut klingendes Papier, aber für die nächste Regierung nicht geltendes auf der Zielgeraden der Wahlperiode liegen. Das entspricht dem vorherigen Papier, dem sogenannten Senatskonzept zur Unterbringung, vom letzten September. Außer der Änderung des THF-Gesetzes, ist daraus nicht viel resultiert. Doch zur Einordnung des Masterplans ist die Frage wichtig, was geschah eigentlich in den letzten fünf Jahren? Ist der Masterplan die konsequente Weiterentwicklung der bisherigen Politik oder steht er im deutlichen Widerspruch dazu?
Beispiel Beteiligung: Auf Seite 26 werden uns Bewohnerräte in den Unterkünften und im Quartiersmanagement versprochen, inkl. Flüchtlingsfürsprecher. Das klingt wie ein Wunschtraum. Nur wer soll diesem Senat glauben, dass das jemals Wirklichkeit wird?! Sonst hätte er das längst angehen können. Zur Beteiligung in den Unterkünften wird schon ewig diskutiert. Dass Probleme besser gelöst werden können, wenn die Betroffenen eingebunden werden, ist doch klar. Diese Einsicht braucht keinen Masterplan!
Dieser Senat hat keinen guten Leumund, wenn es um Beteiligung und das Einhalten von Versprechen geht. Ich erinnere an die Refugees vom Oranienplatz. Diese hätte man als Vorzeichen kommender Migrationsbewegungen verstehen, sich mit ihnen und ihren Bedürfnissen auseinander setzen können und für die Zukunft lernen können. Stattdessen wurden sie nur als Gefahr und Bedrohung angesehen, die möglichst bald aus der Öffentlichkeit verschwinden muss. Was auch getan wurde. Die Anerkennung wurde ihnen verweigert und die Menschen sich selbst überlassen. Einige der Besetzer*innen vom O-Platz leben nach wie vor in Unterkünften, die ihnen Berliner Kirchen bereitstellen, andere wurden in die Obdachlosigkeit gedrängt. Auf den deutschen Staat hofft von ihnen keiner mehr.
Beispiel Qualitätsstandards in den Unterkünften: Der Masterplan verspricht permanente Qualitätssicherung, Gewaltschutz für besonders Schutzbedürftige und anonyme Beschwerdemöglichkeiten. Das klingt alles super! Wann kommt das denn? Warum wurde das nicht schon längst eingeführt? Es ist doch klar, dass Qualität leidet, wenn Standards nicht kontrolliert werden. Und es ist auch klar, dass die Geflüchteten die besten Ansprechpartner für Probleme sind. Dazu muss man keinen Masterplan schreiben!
Seit Jahren lässt der Senat Betreiber unkontrolliert werkeln und sich dabei auf der Nase herumtanzen. Mittlerweile gibt es zwar stichpunktartige Kontrollen, aber dabei wird eben nicht mit den Geflücheteten gesprochen. Es gibt nicht mal mehr Verträge und häufig auch keine Hausordnungen und gar keine verbindlichen Standards mehr. Betreiber setzen Geflüchtete willkürlich auf die Straße. Sie geben Helferinitiativen Hausverbot, wie z.B. Die Akzente UG in Kreuzberg. Und der Senat schaut stumm zu. Bis März sollte ein Konzept vorgelegt werden, welche Beschwerde- und Einspruchsmöglichkeiten Geflüchtete und Ehrenamtliche haben. Darauf warten wir immer noch.
Endlich wurde am Wochenende mal einem Skandalbetreiber gekündigt. Unter den Geflüchteten soll es regelrecht zu Jubelstürmen gekommen sein. Und das ist eben nur einer von zahlreichen schlechten Betreibern. PeWoBe und GIERSO sind noch weiter im Geschäft. Man braucht keinen Masterplan, um zu sehen, dass es hier ein Problem gibt.
Beispiel Vergaben: Auf Seite 26 werden transparente Vergaben versprochen. Wer soll Ihnen denn das glauben? 2013 habe ich schon die Direktvergaben und Verträge per Handschlag kritisiert. Dieses Vorgehen ist völlig undurchschaubar, unterliegt politischer Einflussnahme und ist enorm korruptionsanfällig. Im Zuge der Flüchtlingsunterbringung der zurückliegenden Jahre gab es wiederholt sogenannte freihändige Vergaben, in denen unter Verweis auf Zeitdruck fragwürdige Aufträge ohne Vergabeverfahren an Dritte vergeben worden sind.
Beispiel 1: Die Blumenhalle auf dem Tempelhofer Feld (diese musste angeblich schnell gebaut werden, nun ohne konkrete Nutzung)
Beispiel 2: Der Auftrag an McKinsey (bei dem bis heute unklar ist, was genau die Leistungen dieser sogenannten Beratungsfirma gewesen sein sollen und zu dem der Senat sich konsequent gegen eine parlamentarische Aufklärung hinsichtlich der Auftragsvergabe stellt.)
Die Kritik hinsichtlich der Vergabeverfahren wurde mittlerweile von der Innenrevision des LAGeSo, von externen Wirtschaftsprüfern, von Betriebsprüfern und auch vom Landesrechnungshof bestätigt. Im Februar wurde sogar ein Referatsleiter in Untersuchungshaft genommen wegen 123.000 EUR, die er angenommen haben soll. Was hat sich denn verändert? Es gibt immer noch keine Ausschreibungen. Mittlerweile weiß man nicht mal mehr, ob das LAGeSo oder der Koordinierungsstab die Vergabe machen. Anstatt dieses Problem zu lösen, wird nun einfach im laufenden Prozess ein neues Flüchtlingsamt gegründet. Dessen Eröffnung mittlerweile fast so oft verschoben wurde wie der Flughafen. Als ob eines nicht schon schlimm genug war. Wer soll Ihnen denn abnehmen, dass damit irgendwas besser wird?
So spiegelt der sogenannte Masterplan eben auch die Zerrissenheit wieder, die wir in den letzten Jahren im Bereich Integration insgesamt erlebt haben. Zwei Parteien, welche die Chancen ausgeschlagen haben Neuankommende als Bereicherung und Chance zu begreifen, Notwendiges jahrelang aufschieben und keine weitreichenden Konzepte entwickeln. Und dann werden eben auch die Wünsche der CDU wahr, die in allen Geflüchteten immer entweder eine Belastung oder eine Gefahr sieht, inklusive Zwangs-Wertevermittlung für die angeblich Zivilisationsunerfahrenen und eine gewünschte Erhöhung der Abschiebezahlen, an denen man sich „besoffen redet“ (Zitat Müller).
Das Ergebnis ist ein Wunschpapier, das man nicht als Konzept begreifen kann, da der Zeitplan fehlt, die Finanzierung fehlt, die Verbindlichkeit fehlt, das Vertrauen in den Willen und die Kompetenz dieses Senats fehlt, das auch umzusetzen und es an Gewissheit fehlt, ob der nächste daran überhaupt noch ein Interesse haben wird. Kurzum: Lösen Sie lieber die offensichtlichen Probleme, anstatt ein Traumpapier zu veröffentlichen, das existierende Maßnahmen beschreibt und ansonsten im Ungefähren bleibt. Aber dass das in dieser Legislatur noch geschieht, glaubt wohl keiner mehr.