Für alle, die aktuell ein bisschen Zeit über haben und was zum Lesen suchen, habe ich eine Empfehlung. Meine Urlaubslekture war das Büchlein „Unten Bleiben“ von Martin Delius und Benedict Ugarte Chacón. Es ist ein Zwischenbericht zum Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses über das Desaster beim Bau des größten Infrasturkturprojekts „Ostdeutschlands“, des Berlin-Brandenburger Großflughafens BER. Da die anderen Fraktionen kein Interesse an einem Vorabbericht hatten, hat die Piratenfraktion alleine den Bericht erstellt und vorvergangene Woche vorgestellt. Ihr könnt es euch umsonst herunter laden (als PDF oder als ePub) und lesen. Link Und das Buch lohnt sich wirklich. Es liest sich wie ein Krimi. Wusstet ihr beispielsweise, dass
– der Senat immer wieder versuchte, dem Untersuchungsausschuss Informationen vorzuenthalten und Klaus Wowereit dafür sogar persönlich beim Präsidenten des Abgeordnetenhauses intervenierte?
– die Idee des neuen Flughafens vor allem aus der Hauptstadteuphorie nach der Wiedervereinigung geboren wurde, obwohl der Bundesrechnungshof bereits 1994 auf „Risiken für die öffentlichen Haushalte in Milliardenhöhe“ hinwies.
– es zahlreiche Studien und Gutachten, zum Beispiel der deutschen Bank, gibt, die sich alle gegen Schönefeld als Standort für den neuen Großflughafen aussprechen? Die Entscheidung war rein politisch motiviert und hatte wahrscheinlich damit zu tun, dass sich mit dem privaten Bauland in Schönefeld wunderbar spekulieren ließ.
– sich sogar der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger für den Standort Sperenberg aussprech und trotzdem am 20.6.1996 Schöneberg als Standort beschlossenen wurde.
– die Grünen am 22.11.1994 forderten, „[v]on jeglicher Planung eines neuen Flughafens im Raum Berlin-Brandenburg“ Abstand zu nehmen und damit den sogenannten Ausbau Schönefelds mit beförderten?
– die Flughafengesellschaft 2003 ca. 281 Mio. € für Bauland ausgab, dessen Bauwert nur bei 48 Mio. € lag?
– der aktuelle Untersuchungsausschuss mittlerweile bereits der fünfte Untersuchungsausschuss zum Flughafen ist? Die ersten vier befassten sich mit den Grundstücksspekulationen rund um die Baufläche des Flughafens und der fehlgeschlagenen Privatisierung um die Jahrtausendwende.
– dass die Überprüfungen, die zur Privatisierung des Flughafens führen sollten, von der LANAG – einer Briefkastenfirma – durchgeführt werden sollten?
– die gescheiterte Privatisierung dazu führte, dass die Verwendung der Milliardenkredite niemals ernsthaft kontolliert wurde, da ja die öffentliche Hand im Zweifel immer für die Gelder bürgen würde?
– rund 4000 Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss eingereicht wurden, die Flughafengesellschaft keine Unterlagen über Standortalternativen vorlegte und sich dann so rausredete, dass es sich ja nicht um einen neuen Flughafen handele, sondern nur um den Ausbau eines bestehenden?
– die für das Planfeststellung zuständige Behörde so überfordert war, dass sie bei Defiziten ständig bei der Flughafengesellschaft anfragte und von ihr ungefiltert Informationen übernahm?
– und die EU-Kommission dagegen ein Vertragsverletzungsverfahren einleitete, weil dieses nicht europäischen Standards genügte?
– schon 1998 durch die Deutsche Flugsicherung darauf hingewiesen wurde, dass die in der „Grobplanung“ verzeichneten Flugrouten keinen Bestand haben können, während die Verantwortlichen so taten, als hätten sie diese Information erst 2010 völlig überraschend erhalten?
– die monatlichen Kosten für den nicht fertig gebauten Flughafen immer noch nicht genau kalkulierbar sind und Zahlen zwischen 16,5 und 40 Mio. € kursieren, sich die Abgeordeten von CDU/SPD aber angeblich hervorragend informiert fühlen?
– alle Anträge der Piratenfraktion zum BER, zum Beispiel die nach Vierteljahresbericht, Neustart und Kassensturz, regelmäßig von der Koalition ohne irgendwie geartete Erklärungen abgelehnt werden?
Ach, das wusstet ihr alles schon? Na dann kann ich euch das Buch nun wirklich nicht empfehlen. Falls irgendetwas davon aber neu für euch war, kann ich euch diese Mischung aus Wirtschaftskrimi und Politthriller nur ans Herz legen, die definitiv interessanter und lesenswerter ist, als das Wort „Bericht“ es impliziert, und wünsche ich viel Spaß beim Lesen.