Geflüchtete syrische Kurden überqueren die syrisch-türkische Grenze nahe der Stadt Kobane. UNHCR / I. Prickett

Obergrenzen, my ass – Eine kleine Begriffs­klärung zu Kontin­genten, Resett­lement und Obergrenzen

Derzeit wird viel über Begriffe wie Kontin­gente, Obergrenzen und Resett­lement gesprochen und gestritten. Dabei ist vielen Menschen, auch Politiker*innen, offen­sichtlich nicht klar, was diese Begriffe genau bedeuten. Es fällt insbe­sondere auf, dass der Begriff des Kontin­gents immer häufiger mit einer Obergrenze an Geflüch­teten gleich­ge­setzt wird – dabei hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Um eine Klärung des Begriff­wirr­warrs soll es in diesem Artikel gehen.

Dass Staaten die Aufnahme von sogenannten Flücht­lings­kon­tin­genten beschließen sollen, ist eine Forderung, die viele Organi­sa­tionen, allen voran UNHCR, seit Jahren äußern. Bisher war das also vor allem eine Forderung von Seiten derer, die die Aufnahme von Geflüch­teten ausweiten und humaner gestalten wollten. Wenn Menschen aus einer Krisen­region in ein anderes Land fliehen, dort aber keine dauer­hafte Lebens­per­spektive haben und daher in einem Dritt­staat neuan­ge­siedelt werden, spricht man von Resett­lement. UNHCR, mit deren Unter­stützung viele der Resett­lement-Programme durch­ge­führt werden, bezieht diesen Begriff dabei aussch­ließlich auf „be­sonders verletz­liche Perso­nen“ (z.B. Folte­ropfer, unbegleitete Flücht­lings­kinder). Für ein solches Programm werden Kontin­gente vereinbart, wobei laut UNHCR derzeit ca. eine Million Plätze weltweit benötigt werden, es aber nur für ein Zehntel davon Resett­lement-Verein­ba­rungen gibt. Der Resett­lement-Bedarf entspricht dabei etwa acht Prozent der insgesamt Geflo­henen. Die meisten Geflüch­teten werden in diesem Rahmen derzeit von den USA, Kanada und Australien aufge­nommen. Neben dem von UNHCR durch­ge­führten Programm gibt es in einigen Staaten zusätzlich auch eigen­ständige Resett­lement-Maßnahmen nach anderen Kriterien, z.B. in Kanada.

Geflüchtete syrische Kurden überqueren die syrisch-türkische Grenze nahe der Stadt Kobane. UNHCR / I. Prickett
Geflüchtete syrische Kurden über­queren die syrisch-türkische Grenze nahe der Stadt Kobane. UNHCR / I. Prickett

Die Vorteile von einem Resett­lement-Programm sind für die aufneh­menden Staaten zum einen eine gewisse Kontrolle und Planungs­si­cherheit. Den geflüch­teten Menschen auf der anderen Seite öffnet sich so ein legaler Weg der Flucht. Zudem sind die herkömm­lichen „il­le­ga­len“ Flucht­routen voller Gefahren – von extremen physi­schen und psychi­schen Belas­tungen bis hin zum Tod. Viele Geflüchtete sind gar nicht in der Lage, diesen Weg anzutreten, beispiels­weise aus gesund­heit­lichen oder finan­zi­ellen Gründen. Aufnah­me­kon­tin­gente in Deutschland und der EU retten also nicht nur Menschen­leben, sondern können auch insbe­sondere Menschen zugute kommen, für die eine strapa­ziöse Reise nicht in Frage kommt.

Ein Kontingent ist nun aber keines­falls mit einer Obergrenze für die Zuwan­derung Geflüch­teter gleich­zu­setzen. Zum ersten sind Obergrenzen kaum umsetzbar, denn Menschen werden immer fliehen und wandern, insbe­sondere dann, wenn die Lebens­be­din­gungen weltweit so unter­schiedlich sind und darüber hinaus in vielen Gegenden Unruhen und Kriege herrschen. Zum zweiten gilt nach wie vor die Genfer Flücht­lings­kon­vention, die vor über 60 Jahren verab­schiedet wurde und bestimmten Perso­nen­gruppen Schutz und Asyl gewährt. Dass Obergrenzen rechtlich kaum umsetzbar sind, da sie auch gegen die EU-Grund­recht­echarta verstoßen, bestä­tigte nun auch der Wissen­schaft­liche Parla­men­ta­rische Dienst des Bundestags.

Auf dieses Grund­recht auf Asyl haben Kontin­gente keinerlei Auswir­kungen. In Deutschland wird seit dem Jahr 2012 regel­mäßig ein Kontingent von 300 besonders schutz­be­dürf­tigen Menschen aufge­nommen. Diese Zahl wurde 2015 auf 500 erhöht – in Anbetracht der derzei­tigen Situation ist das natürlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auch muss gesagt werden, dass diese Personen nicht als anerkannte Flücht­linge (§ 25 Abs. 1 und 2 AufenthG) aufge­nommen werden und nach drei Jahren den Anspruch auf eine Nieder­las­sun­ger­laubnis haben, sondern erst nach fünf Jahren eine Dauer­auf­ent­halts­er­laubnis erhalten können, wenn weitere Bedin­gungen erfüllt sind (§ 23 Abs. 2 AufenthG).

Darüber hinaus wurden in Deutschland zwischen Mitte 2013 und Mitte 2015 30 000 geflüchtete Syrer durch tempo­räre Bundes- und Landes­pro­gramme aufge­nommen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Maßnahmen, die den Menschen eine langfristige Perspektive bieten sollen. Der Aufent­halts­titel wird für maximal zwei Jahre erteilt, der Famili­ennachzug ist nur im Ausnah­mefall möglich und Integra­ti­ons­maß­nahmen werden zum Teil, je nach Programm, erschwert (Aufnahme nach § 23 Abs. 1 bzw. 2 AufenthG). Immerhin blieb den so einge­reisten Menschen die lebens­ge­fähr­liche Flucht über das Mittelmeer erspart, wobei für viele der aufge­nommen Personen eine solche Reise gar nicht erst möglich gewesen wäre. Die Einreise der aufge­nom­menen Geflüch­teten erfolgte, wie auch im Resett­lement-Programm üblich, über gechar­terte Flugzeuge.

Das durch­ge­führte Resett­lement-Programm für Deutschland ist Teil einer EU-weiten Maßnahme in Koope­ration mit UNHCR. Innerhalb der EU wurden im Jahr 2012 darüber 4405, 2013 5449 und 2014 5535 Menschen aufge­nommen, wobei das kleine Land Schweden mit jährlich bis zu 1900 Personen die größte Gruppe aufnahm.

Ganz anders die Situation in Kanada. Das Land agiert seit Jahrzehnten deutlich zuver­läs­siger in Bezug auf Resett­lement. Bereits seit 1978 werden Geflüchtete neu angesiedelt und im Jahr 2014 wurden etwa 13 900 Geflüchtete im Rahmen von Resett­lement-Programmen aufge­nommen. Dies ist zwar im Verhältnis zu den knapp 36 Millionen Einwohnern immer noch eine sehr geringe Zahl, aber dennoch liegt sie viel höher als in der EU.

Dass Kanada auch deutlich flexibler als Deutschland und die EU auf aktuelle Krisen reagieren kann, zeigte sich im November als angekündigt wurde, bis Ende 2015 (das wurde inzwi­schen auf Ende Februar 2016 korri­giert) 25 000 Syrer aufzu­nehmen. Bis heute sind ca. 1200 Geflüchtete aus Syrien angekommen, der Bewer­bungs­prozess läuft für gut 18 000 weitere. In Kanada erhalten Personen, die über dieses Programm aufge­nommen werden, sofort ein Dauer­auf­ent­halts­recht (permanent residency) und auch Integra­ti­ons­maß­nahmen laufen gleich an. Staat und Gemeinden sehen die Geflüch­teten, anders als in Deutschland, als neue Mitbürger*innen an.

Noura, 7, floh aus Syrien in den Libanon. UNHCR/ E. Byun
Noura, 7, floh aus Syrien in den Libanon. UNHCR/ E. Byun

Absch­ließend kann man sagen, dass der Weg über Kontin­gente aus mensch­licher, aber auch zwischen­staat­licher Sicht nötig ist – in Ergänzung zum beste­henden Grund­recht auf Asyl. Er kann gefähr­liche Flucht­routen verhindern und besonders schutz­be­dürf­tigen Menschen eine Perspektive bieten. Kontin­gente können auch in den Erstzu­fluchts­ländern die Bedin­gungen verbessern und die jewei­ligen Staaten und zurück­blei­benden Geflüch­teten entlasten. Sie eröffnen einen legalen Ausweg für Menschen, denen nicht viel geblieben ist und können poten­tiell Tausende Menschen­leben retten. Dafür ist es aller­dings nötig, dass über eine drastische Anhebung der Kontin­gent­zahlen gesprochen wird. Die derzeit in Deutschland durch Resett­lement aufge­nommen 500 Menschen jährlich sind natürlich ein Witz. Die Zahl muss wohl vertau­send­facht werden, um einen deutlichen Unter­schied zu machen. Zudem müssen sie aufent­halts­rechtlich einen Status als Geflüchtete mit allen in der Genfer Flücht­lings­kon­vention garan­tierten Rechten erhalten und alle Integra­ti­ons­an­gebote nutzen dürfen. Von der unsin­nigen Debatte um Obergrenzen sollte das Thema jedoch sorgsam getrennt werden.

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