In Flüchtlingsunterkünften in Burbach, Bad Berleburg und Essen in Nordrhein-Westfalen (NRW) wurden Asylsuchende durch Wachleute erniedrigt und misshandelt. Leider waren das keine „Einzelfälle“ – auch wenn NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) und der Heimbetreiber versuchen, dies so darstellen. Auch in weiteren Städten ist von Misshandlungsfällen berichtet worden, jüngst in Hamburg.
Sind solche Missbrauchsfälle durch die Strukturen in der Berliner Flüchtlingsunterbringung ausgeschlossen? Nein, das sind sie nicht.
Auswahl der Heimbetreiber: Alle Unterkünfte in NRW, in denen Missbrauchsfälle bekannt wurden, wurden von European Homecare betrieben. Dieser Betreiber ist in Berlin bislang nicht aktiv. Aktuell sind sechs Containerdörfer am Stadtrand für Flüchtlinge in Planung, von denen eins noch im Dezember dieses Jahr öffnen soll. European Homecare gehörte zunächst zum engeren Kreis an Interessenten, der von der Senatssozialverwaltung zum internen Gespräch eingeladen wurde. Doch nach den bekannt gewordenen Missbrauchsvorfällen in NRW, kommt European Homecare dafür nicht mehr in Betracht. Dies hat uns Sozialsenator Czaja in der Sitzung des Hauptausschusses am 1. Oktober 2014 auf Nachfrage zugesichert und in der folgenden Plenarsitzung noch einmal bekräftigt.
Überprüfung des Wachpersonals: Warum braucht es eigentlich Wachpersonal für Flüchtlingsunterkünfte? Die traurige Antwort ist, dass es immer wieder gewalttätige Angriffe von Rechtsradikalen auf Flüchtlingsunterkünfte gibt. Auch kann die Kasernierung von Flüchtlingen in beengten Massenunterkünften zu Aggressionen untereinander führen. Das Wachpersonal von Flüchtlingsunterkünften wird in der Regel nicht (direkt) vom Betreiber gestellt, sondern extern von einer privaten Sicherheitsfirma eingekauft. Dabei kann es sich auch um eine Tochterfirma des Heimbetreibers handeln. Qualifikation und Vorstrafen der Wachleute wurden in NRW weder vom Land beziehungsweise den Kommunen, noch vom Betreiber überprüft. Von Landesseite gab es dazu auch keine Vorgaben. In Berlin gibt es zwar offiziell Vorgaben für die Qualifikation des Wachpersonals – unabhängig davon, ob sie nun beim Betreiber oder Subunternehmer angestellt sind – aber kontrolliert wurde diese Eignung bislang nicht. Erst seit dem 1. Oktober müssen Heimbetreiber nachweisen, dass alle Mitarbeiter*innen für die Tätigkeit geeignet sind. Dazu gehört auch die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses, das nicht älter als drei Monate ist.
Die in nordrhein-westfälischen Unterkünften von European Homecare tätige private Sicherheitsfirma SKI ist in Berlin wohl nicht aktiv. Das in Berlin für die Flüchtlingsunterkünfte zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) wusste bis vor Kurzem allerdings gar nicht, welche Sicherheitsfirmen in den Heimen aktiv sind und musste erst eine Abfrage bei den Heimbetreibern machen.
Unzureichende Mindeststandards: In Berlin gibt es im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern verwaltungsintern festgelegte Standards für Flüchtlingsunterkünfte. Doch diese Minimalstandards sind unzureichend und bleiben an vielen Stellen unkonkret. Sie sind seit Jahren nicht grundlegend überarbeitet und an heutige Standards und Bedürfnisse angepasst worden. Teilweise werden sie in den Verträgen des LAGeSo mit den Heimbetreibern nach unten aufgeweicht. So findet sich in Betreiberverträgen etwa die Klausel: „Die Mindestanforderungen gelten nur eingeschränkt und werden mit dem LAGeSo abgestimmt.” Einige Betreiberfirmen versuchen zudem, diese Minimalstandards systematisch zu unterschreiten, weil ihnen dies zusätzliche versteckte Profite ermöglicht.
Fehlende und zahnlose Kontrollen: Die Kontrollen der Flüchtlingsunterkünfte sind auch in Berlin unzureichend. Bis Anfang 2014 hat das LAGeSo die Einrichtungen gar nicht ernsthaft kontrolliert. Die Sozialbehörde hatte bis dahin kein Personal für die Kontrolle der Sammelunterkünfte abgestellt. Die marginalen Kontrollen waren nicht nachvollziehbar, nicht vergleichbar und völlig intransparent. Auch die jetzigen Kontrollaktivitäten sind noch immer defizitär: Das LAGeSo geht zwar mittlerweile unangemeldet in die Unterkünfte und arbeitet dabei systematisch eine Checkliste ab; allerdings verlässt es sich dabei ausschließlich auf die Aussagen der Betreiberfirma. Hinweise und Beschwerden der Bewohner*innen werden dabei nicht aufgenommen. Der Personaleinsatz (Anzahl, Qualifikation und Entlohnung) wurde bislang überhaupt nicht überprüft. Verstöße gegen die Mindeststandards wurden in der Vergangenheit vom LAGeSo nicht geahndet. Von Seiten der Sozialbehörde gab es keine Sanktionen, keine Belegungsstopps und keine Vertragsstrafen gegenüber den Heimbetreibern. Auch sind neue Sammelunterkünfte weiterhin an umstrittene private Betreiberfirmen wie die PeWoBe oder GIERSO vergeben worden.
Keine unabhängige Beschwerdestelle: In allen anderen sozialen Bereichen ist ein Beschwerdemanagement gang und gäbe: im Kinder- und Jugendhilfebereich, in Altersheimen, in Pflegeeinrichtungen etc. – im Flüchtlingsbereich jedoch nicht. Asylsuchende werden rechtlos gehalten. In Berlin gibt es weder ein flächendeckendes einrichtungsinternes Beschwerdemanagement noch eine unabhängige trägerübergreifende Beschwerdestelle. Heimbewohner*innen und Flüchtlingsinitiativen können sich allenfalls an die zuständigen Referats- und Abteilungsleitung im LAGeSo wenden – sofern sie davon wissen. Denn einen Hinweis darauf sucht man vergeblich. Die Mitarbeiter*innen des Heims werden von den Bewohner*innen nicht als unabhängige Ansprechperson wahrgenommen, wenn es Probleme mit dem Heimbetreiber gibt.
Fazit: Auch in Berlin sind Misshandlungsfälle von Asylsuchenden nicht strukturell ausgeschlossen. Die Vorfälle in NRW und anderswo hätten verhindert werden können,
wenn die Seriosität und nicht der Preis über die Auswahl des Betreibers von Flüchtlingsunterkünften bestimmen würde;
wenn es bundesweit rechtlich vorgeschriebene Mindeststandards auf hohem Niveau geben würde, die sich etwa an den Vorgaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) für die ordnungsrechtliche Unterbringung von Wohnungslosen orientieren;
wenn Land und Kommune ihren Aufsichts- und Kontrollpflichten gegenüber den Heimbetreibern nachkommen würden;
wenn Flüchtlinge sich rechtzeitig an eine unabhängige Beschwerdestelle hätten wenden können, die diese Fälle aufnimmt und ihnen in einem transparenten Verfahren nachgeht.
Auch in Berlin gibt es noch viel zu tun für Sozialsenator und LAGeSo.