Piratige Wirtschafts­po­litik – ein ewiges Dilemma?

Piraten droht klaffende Lücke im Partei­pro­gramm“ titelt Welt Online am Sonntag. Das klingt ja beunru­higend. Was war denn da geschehen? Nun…gestern hatte in Berlin-Moabit die Berlin-Branden­burger Antrags­kon­ferenz, einer von mehreren regio­nalen Diskus­si­ons­runden, zur Vorbe­reitung des Bunde­s­par­teitags in Bochum am 24./25. November statt­ge­funden. Unter anderem war dort auch über die zur Wahl stehenden Anträge aus dem Bereich Wirtschafts­po­litik gesprochen worden. Nun war auf dem Podium großes Einver­nehmen darüber herge­stellt worden, dass man eigentlich gerne noch mehr Zeit hätte, um die momentan existie­renden Anträge gemeinsam zu verbessern und noch einmal neu durchs Liquid­Feedback zu schicken, um sie dann erst 2013 zu behandeln. Über diese Variante dreht sich Bewarders Artikel. Das sieht nun nach einem ziemlichen Dilemma aus: Entweder 1. die Piraten werden im November nichts zum Thema Wirtschaft beschließen, was der Partei mediale Angriffs­fläche bietet, 2. die Partei beschließt Jan Hemmes Antrag, was nach einem faulen Kompromiss aussieht, da ja selbst der Autor gesagt hat, dass er eigentlich noch mehr Zeit bräuchte oder 3. es wird ein anderer Antrag angenommen. Die dritte Variante ist nicht so wahrscheinlich, da der Antrag von Jan am meisten Zustimmung im Liquid­Feedback hatte. Wie sollte die Partei nun vorgehen, was sind die Optionen und die Konse­quenzen? Ohne kurze Vorge­schichte lässt sich das wohl nicht verstehen.

Können die Piraten Wirtschaft?

2006 war die Piraten­partei mit einem Minimal­pro­gramm gegründet worden, mit dem sie im Wesent­lichen auch zur Bundes­tagswahl 2009 antrat. In der Folge verbrei­terte sich das Grund­satz­pro­gramm (hier in über­sicht­licher Auflistung) in wichtigen Aspekten, noch nicht aller­dings in den Bereich Wirtschafts­po­litik hinein. Dies wurde bisher immer wieder kriti­siert, vom politi­schen Gegner, aber vor allem aus dem Medien­be­reich.

Seitdem steigt der gefühlte Druck der Partei, sich ein Programm in diesem Bereich zu geben. Sowohl Sebastian Nerz als auch Bernd Schlömer betonten schon, dass die Partei bis zur Bundes­tagswahl etwas in diese Richtung erarbeiten werde (habe dazu leider grad keine Quelle zur Hand). Trotzdem wurden im Dezember 2011 in Offenbach keine bzw. kaum Anträge zur Wirtschafts­po­litik beschlossen. An mangelnden Anträgen lag das aller­dings nicht. Wie auch schon in Chemnitz 2010 gab es eine Fülle von Anträgen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, waren es 71 Anträge im Bereich Wirtschaft und Finanzen. Zu finden sind diese ab Seite 27 des Antrags­buches für Offenbach. Auch die Diskussion über ein Grund­satz­pro­gramm Wirtschafts­po­litik fruchtete nicht. Geeignet gewesen wären besonders die Anträge PA121, PA135, 173ff., PA191, PA197. Diese lehnte jedoch der Parteitag ab, da es den Antrags­stellern nicht gut genug gelang, die Unter­schiede zwischen den verschie­denen Anträgen zu erläutern, sodass ein Antrag auf Vertagung erfolg­reich war. Dieser war mit der Bitte an die Antrag­steller verbunden, sich noch einmal zusam­men­zu­setzen. Ob dies danach geschah, ist mir nicht bekannt. Ich vermute, nein. Funfact: Bei den Anträgen zur Sucht- bzw. Drogen­po­litik ging man – da beide Anträge ihre Ups und Downs hatten und die Antrag­steller sich im Vorfeld nicht auf einen gemein­samen Antrag einigen konnten – den pragma­ti­schen Weg und nahm zwei konkur­rie­rende Anträge beide an, sodass nun einige Redundanz im Programm steht.

Dezen­trale Weiter­ent­wicklung

Seitdem gab es einige Landtags­wahlen, in denen auch mit dem Thema Wirtschaft Wahlkampf gemacht worden war. Auch einige Medien­be­richte über schon existie­rende, mögliche oder wahrschein­liche piratige Wirtschafts­pro­gram­matik sind gar nicht schlecht geworden. Ob bei der Wirtschafts­woche, der bei der Taz oder im Zeit-Interview mit Pavel Mayer über die Wirtschaft bei Star Trek. Konkreter wurde es dann im Sommer 2012, als neue Anträge ins Liquid­Feedback gestellt wurden. Die Sieger­in­itiative war „Wirtschafts­po­li­tische Grund­sätze der Piraten­partei“ von Jan Hemme u.a. mit 420 zu 160 Stimmen (und 278 zu 287 Stimmen im direkten Vergleich zum Antrag „Grund­satz­pro­gramm Wirtschafts­po­litik“ von Laura Dornheim u.a., der aller­dings mit 414 zu 235 Stimmen nicht die notwendige 2/3-Mehrheit erreichte). Die Anträge wurden auch schon ins Antrags­portal für den BPT in Offenbach gestellt. Ein offen­sicht­licher Unter­schied ist, dass der Antrag von Laura konkreter, Jans grund­sätz­licher ist, während der Antrag des Berliner Squad Haushalt und Finanzen sogar in mehrere Module aufge­teilt ist.

Hieran sieht man schon das erste Problem: Es herrscht keine Einigkeit darüber, ob ein Wirtschafts­antrag nur den Bereich unter­neh­me­rische Wirtschaft, oder auch den Bereich Steuern und Finanzen, vielleicht die gesamte Markt­wirt­schaft umfassen sollte. Auch ist unklar, ob der Antrag möglichst klein­teilig sein sollte, damit man ihn komple­mentär besprechen und abstimmen kann, oder ob er besser „aus einem Guss“ (Laura) sein sollte. Auch würde es nur Sinn machen, sich für die Präambel inklusive Modulen zu entscheiden, wenn andere Antrag­steller auch diesen Verfah­rensweg wählen, damit man auch Module gegen­seitig abstimmen kann.

Nun hätte man genau darüber eigentlich im September auf der „EUWiKon“ (Bericht der Zeit: „Können Piraten Wirtschaft?“) Einigkeit herstellen können, oder aber auf der bereits oben angespro­chenen Berlin-Brandenburg-Konferenz. Was aber anscheinend beides nicht geschah. Zudem ist der Einrei­chungs­schluss für Anträge zum Grundsatz- und Wahlpro­gramm erst am 28. Oktober. Und auch danach können auch immer noch Positi­ons­pa­piere einge­reicht werden, die zudem nur 50% Zustimmung statt der sonst üblichen Zweidrit­tel­mehrheit benö­tigen. Und niemand hindert die Antrag­steller der bishe­rigen Anträge daran, diese erneut einzu­reichen. Und es wird sicherlich auch Anträge sowohl zu Grund­satz­pro­gramm als auch Wahlpro­gramm geben, als auch Positi­ons­pa­piere, was das ganze nochmal schwie­riger macht. Das wirkt nun alles nicht gerade rosig.

Was sind also die Optionen?

Die Optionen sind jedoch im Grunde gar nicht mal so schlecht. Natürlich gibt es zuerst die Möglichkeit, wie in Offenbach mit oder ohne Diskussion alle Anträge zurück­zu­schicken. Das wäre schade, zumal es immer ganz sinnvoll ist, zwischen den Anträgen fürs Grund­satz­pro­gramm und den konkre­teren fürs Wahlpro­gramm einen Parteitag verstreichen zu lassen. Aber dafür sollte Verständnis herrschen und ein bisschen Zeit bis zur Bundes­tagswahl ist ja noch. Keine Katastrophe. (Auch dass wegen nicht verab­schie­deten Wirtschafts­an­trägen der BuVo explo­diert, halte ich für Blödsinn. Dass es in einem Quasi-Vollzeit-arbei­tenden Gremium aus lauter Ehren­amtlern Reibungen gibt, ist wohl selbst­ver­ständlich. Ich denke, dafür gibt es Verständnis. Mit unter­schied­lichen politi­schen Auffas­sungen hat das wenig zu tun, zumal der BuVo selbst ja politisch gestaltend kaum tätig ist.)
Dann gäbe es auch die Möglichkeit, sich einfach für einen annehm­baren Antrag zu entscheiden (zum Beispiel den Siegerantrag aus Liquid­Feedback), auf dieser Grundlage dann zum nächsten Jahr einen Antrag zum Wahlpro­gramm zu entwerfen und dabei auch gleich noch Ideen für Verbes­se­rungen zu bekommen. Das ist gar nicht so unwahr­scheinlich. Denn im Gegensatz zu Offenbach 1. steht Wirtschafts­po­litik diesmal viel stärker im Fokus, daher werden die Anwesenden auch eher bereit sein, komplexe Materie zu disku­tieren und 2. wurde darüber diesmal auch viel mehr im Vorfeld disku­tiert. Negatives Presseecho, dass wir einen Antrag verab­schieden, der vor kurzem vom Antrag­steller als „vermutlich nicht mehrheits­fähig“ bezeichnet wurde, mag es geben. Über die Unbere­chen­barkeit von Partei­tagen wurde aller­dings schon zur Genüge berichtet, sodass dies niemanden ernsthaft über­ra­schen dürfte.

Trotzdem sollte uns dieser ganze Prozess zu denken geben, ob wir nicht mal ein bisschen was über­denken müssen. Zwischen „Der Vorstand macht einen Leitantrag, den alle annehmen müssen“ (CDU, böse) und „Die Basis disku­tiert stundenlang, zum Teil ergeb­nislos“ (Piraten, gut) gibt es ja noch ganz viel grau. So könnte man zum Beispiel festlegen, dass bei Anträgen zu neuen Bereichen (Wirtschaft, Steuern, Außen­po­litik etc.) Samstags über den zu favori­sie­renden Antrag disku­tiert und abgestimmt wird, der dann quasi zum aus der Basis kommenden Leitantrag wird. Und zu Sonntag gäbe es dann noch die Option, Ände­rungs­an­träge zu beantragen. Erst danach tritt der Antrag selbst in Kraft. Dass man dann nur kurze Zeit, um Ände­rungs­an­träge auszu­ar­beiten, wird dadurch kompen­siert, dass man schon im Vorfeld durch Online-Tools (Liquid­Feedback, LimeS­urvey etc.) ein gutes Bild bekommen kann, für welchen Antrag sich am Samstag entschieden wird. Das ist aber nur eine spontane Idee. Kommentare sind willkommen.

4 Kommentare zu “Piratige Wirtschafts­po­litik – ein ewiges Dilemma?

  1. Jan Hemmes Antrag hat sich nur deshalb gegenüber schwarzblond’s Antrag durchgesetzt – und das hauchdünn – weil er mehr Superdelegierte auf seiner Seite hatte; es ist anzuzweifeln, dass sich das in einer direktdemokratischeren Abstimmung wiederholen wird.

    Lange Diskussion in allen Ehren, aber trotzdem sollte man allzu ausgedehnte Diskussionen deckeln; 3 Themenfelder am Samstag wären ein Witz. An diesem Bundesparteitag hängt viel dran; unter anderem auch das letzte bisschen Motivation der AGs im Bereich Energie, Umwelt & Co. – in diesem Zusammenhang haben sie sich sogar zu einem Schulterschluss-Antrag zusammengeschaltet, um endlich die Aufmerksamkeit eingeräumt zu bekommen, um bei einem Bundesparteitag behandelt zu werden; der Antrag darf nicht zu kurz kommen. Bestandteile von ihm liegen schon seit 2 1/2 Jahren auf der langen Bank.

    Gerade die Diskussionsphasen auf Bundesparteitagen find‘ ich persönlich fragwürdig: Wer’s wirklich ernst meint, der funkt schon im Vorfeld dazwischen.
    Es ist auch unsinn, anzunehmen, dass man all die Zeit im Vorfeld keine paar Stunden hierfür hat, aber dann auf einmal auf einem Bundesparteitag erscheinen kann.
    Hinzu kommt, dass man sich zu Hause ohnehin konzentrierter und ergiebiger mit Anträgen auseinander setzen kann.

    • Hi Michael, das war nicht für übermorgen, sondern eher in die Zukunft gedacht. Wenn wir das wollen, können wir es ja auch machen. Wir müssen dazu halt die Regularien ändern.

  2. Dass ihr nicht viel zu Wirtschaft habt liegt an eurer Ideologie. Aus einer liberalen Grundhaltung lässt sich sowohl eine flat-tax als auch ein progressiver Steuersatz ableiten. liberal ist auch eine Börsenumsatzsteuer in Höhe der Mehrwertsteuer allerdings auch garkeine Steuer, weil man davon ausgehen kann, dass Geld an der Börse ohnehin nur ziellos hin und hergeschaukelt wird.

    Das BGE ist das Einzige was mir sowohl links als auch rechts als auch liberal vollkommen plausibel vorkommt, aber ihr scheint davor zurückzuschrecken den Bürgern ins Gesicht zu sagen, dass sie mit all ihren Befürchtungen-die Leute würden dann nicht mehr arbeiten gehen-alle falsch liegen. Bürgern einen Spiegel vorzuhalten ist leider nicht liberal.

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