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Die Katastrophe von Idomeni – nur die Ehren­amt­lichen verhindern Schlim­meres

Wer in Thessa­loniki, einer Stadt im Norden Griechen­lands unweit der Grenze zu Mazedonien, aufmerksam durch die Straßen geht, hat gute Chancen, eine der vielen Suppen­küchen zu sehen, die regel­mäßig Essen an Obdachlose verteilen. Selbst­be­wusstsein mag Alexis Tsipras Griechenland mit dem Referendum vom 5. Juli 2015 zurück­ge­geben haben. Aber noch immer leiden viele GriechInnen unter den Folgen der Krisen der vergan­genen Jahre und dem sozialen Abstieg, häufig einher­gehend mit dem Verlust von Arbeits­platz oder Wohnraum. Neben dem Engagement der ortho­doxen Kirche und einiger Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen sind es vor allem Ehren­amt­liche, die diese Not auffangen müssen. Dennoch sind es die gleichen Hilfss­truk­turen, die nun auch noch eine weitere Katastrophe abmildern müssen: Das Desaster von Idomeni. Der kleine Ort, den vor 2015 wohl niemand kannte und der laut Wikipedia 309 Einwoh­ne­rInnen hat, steht mit seinem Namen immer mehr für das Versagen Europas in der Flücht­lings­po­litik.

 

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Bis vor wenigen Wochen war es nur eine von zahlreichen Durch­gangs­sta­tionen für Geflüchtete auf ihrem Weg nach Öster­reich, Deutschland oder Schweden. Seitdem werden nur etwa 50 Menschen pro Tag dort durch­ge­lassen oder gleich gar keine mehr. Es verbleiben über 13.000 Geflüchtete, die auf Durchlass warten. In ganz Griechenland sind es je nach Schätzung zwischen 35.000 und 50.000. Zahl zunehmend. Seit Montag dieser Woche erschwert starker Regen die Situation vor Ort zusätzlich. Hygiene gibt es nicht, Essen und Trinken sind knapp, die medizi­nische Versorgung durch das nahege­legene Krankenhaus ist über alle Maßen gefordert. Von staat­licher Seite aus gibt es nur unzurei­chende Unter­stützung. Das Grenz­gebiet ist auf Über­tritte an den offizi­ellen Über­gängen ausge­richtet, jedoch nicht auf Tausende, die verzweifelt im Regen warten. Neben dem Roten Kreuz und den Ärzten ohne Grenzen versorgen mehrere sogenannte ‚No Border Kitchen‘ mit Freiwil­ligen aus ganz Europa die Geflüch­teten notdürftig mit warmer Nahrung. Auf Mailing­listen und in sozialen Netzwerken werden Materialien organi­siert, Fahrten und Einsätze abgesprochen. So verhindern die Ehren­amt­lichen die humani­täre Katastrophe, vor der Merkel seit September warnt und die von den europäi­schen Staaten gerade herauf­be­schworen wird. Denn die Geflüch­teten harren weiter aus, in der Hoffnung doch noch Richtung Norden weiter­reisen zu dürfen. Zu weit sind sie schon gekommen, um sich davon jetzt abbringen zu lassen.

 

Die Bilder vom Bahnhof Keleti wieder­holen sich

Doch selbst wenn sie weiter­kommen, erwarten sie neue Hürden. Auch Serbien, Kroatien und Slowenien haben mittler­weile ihre Grenzen geschlossen. Der Sinn dessen erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Denn: Kaum eineR der Geflüch­teten will in diesen Ländern oder auch in Ungarn Asyl beantragen und bleiben. Eigentlich sind sie für die meist verarmten Grenz­re­gionen sogar ein nicht unwesent­licher Wirtschafts­faktor. Es geht hier also eher um eine prinzi­pielle Frage und natürlich um die Befürchtung, dass es aufgrund der Grenz­sch­ließungen anderer Länder zu einem Aufstau kommt, der zu einer Eskalation der Situation vor Ort führt. So wie es jetzt in Griechenland passiert. Damit tritt die EU plus Balkan wieder in den Zustand vor dem 3. September 2015 ein. Und damit in den Zustand, der eigentlich verhindert werden soll: Fette Geschäfte für Schlep­pe­rInnen, massen­hafte illegale Grenz­über­tritte über die grüne Grenze und unkon­trol­lierte, unregis­trierte Einreisen. Es ist bereits absehbar: Der nächste Kühl­trans­porter voller Leichen wird nicht lange auf sich warten lassen. Um diese Katastrophen und die Bilder des Bahnhofs Keleti zu verhindern, waren die Grenzen schließlich geöffnet worden. Diese Bilder wieder­holen sich gerade in Idomeni.

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Routen­tech­nisch ist sowieso noch viel Spielraum: In den sozialen Netzwerken ist der Weg über Albanien und Italien gerade der heiße Tipp. Auch über Bosnien-Herze­gowina, Rumänien oder die Ukraine und Polen ist die Reise möglich. Und natürlich geht es auch von Libyen aus über das Meer nach Europa. Eine gänz­liche Abschottung ist genauso unrea­lis­tisch, wie sie es 2013 und 2014 war. Wir erinnern uns: Die Reaktion auf die großen Schiff­s­un­glücke vor Italien waren: Einbe­rufung von Krisen­gipfeln und die Absichts­er­klärung, stärker gegen Schlep­pe­rInnen vorgehen zu wollen. Soviel dazu.

 

Grenz­sch­ließungen Teil einer über­grei­fenden EU-Strategie? Wohl kaum!

Auch wenn Ratsprä­sident Donald Tusk dies mit seinem Tweet am Mittwo­chabend sugge­rieren wollte: Die Schließung der Balkan­route ist natürlich keine gemeinsame europäische Maßnahme und ganz sicher kein sinnvoller Baustein zur Kontrolle von Migra­ti­ons­be­we­gungen. Eigentlich sollte sie ja auch flankiert werden von mehreren Maßnahmen, die mit der Türkei zusammen verhandelt werden. Die Ergeb­nisse des EU-Türkei-Gipfels haben die meisten EU-Regie­rungs­chefs jedoch ratlos zurück gelassen. Illegal einge­reiste Migran­tInnen sollen in die Türkei depor­tiert werden. Dafür sollen im gleichen Zuge SyrerInnen aus der Türkei legal auf die europäi­schen Staaten verteilt werden. Die Türkei erwartet dafür Geld, Visa-Erleich­te­rungen und eine bessere EU-Beitritts­per­spektive. Beschlossen wurde das alles noch nicht. Konkre­ti­siert werden soll es bei einem weiteren Gipfel Mitte März. Wie dort das Wunder herbei­ge­führt werden soll, dass die EU-Staaten dann legal Menschen einfliegen, die sie zuvor noch abgelehnt haben, bleibt im Nebel verborgen.
Immerhin: Ein Neben­produkt der sogenannten Flücht­lings­krise sind einige unüb­liche Annä­he­rungen: Ein griechi­scher Regie­rungschef, der einen türki­schen Minis­ter­prä­si­denten umarmt, wäre bis vor kurzem noch undenkbar gewesen. Genauso wenig wie eine CDU-Chefin, die sich so beispiellos für eine EU-Beitritts­per­spektive der Türkei einsetzt.

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Fazit: Die Menschen warten weiter

Für die Menschen, die in Idomeni an der Grenze warten, die knietief im Wasser stehen, frieren und weiter verzweifeln, sind die Ergeb­nisse des Gipfels bedeu­tungslos. Sie wollen weiter. Hinter ihnen liegt der Bürger­krieg, Hunger und Elend. Vor ihnen liegt ein unwil­liges und tief gespal­tenes Europa, das sich mit seinen 500 Mio. Einwoh­ne­rInnen nicht auf die Verteilung von unter 0,2% dieser Zahl einigen kann. Und unter ihnen ist der Schlamm von Idomeni. Und jüngst kam dazu noch die Räumungsan­drohung der griechi­schen Regierung. Aufgrund der Grenz­sch­ließung sei ein Weiter­kommen unmöglich, ein Verharren sinnlos. Man werde die Menschen unter­bringen und versorgen. Nur wie, bleibt unklar. So richtig dran glauben will niemand. Und was dann? Ein neues Leben in Griechenland? Das erscheint den Menschen hier als unwahr­scheinlich.

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