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Ein Leben im Warteraum – Die Geflüch­teten in Idomeni hoffen auf die EU

Auch der EU-Türkei-Gipfel Mitte März änderte nicht viel daran: Die Situation im Flücht­lings-Notlager an der griechisch-mazedo­ni­schen Grenze bleibt prekär. Immer noch sind über zehntausend Menschen, die zuvor aus Syrien, Afgha­nistan und anderen Ländern geflüchtet sind, dort gestrandet. Die Grenze ist weiterhin dicht und die ungewisse Situation macht den Menschen zu schaffen. Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen und Ehren­amt­liche haben die Versor­gungslage aber mittler­weile etwas stabi­li­siert.

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Im Mittel­punkt des Gipfels stand der Vertei­lungs­vor­schlag des türki­schen Minis­ter­prä­si­denten Davutoglu. Das beschlossene Konzept sieht die Rück­führung von Geflüch­teten von den griechi­schen Inseln in die Türkei und eine gleich­zeitige Verteilung syrischer Geflüch­teter aus der Türkei in die EU im geord­neten Verfahren und nach Regis­trierung vor. Der Vorschlag, den Angela Merkel zusammen mit dem nieder­län­di­schen Regie­rungschef Mark Rutte ausge­ar­beitet hat, basiert auf einem Konzept des Think Tank European Stability Initiative, das am 4. Oktober 2015 veröf­fent­licht wurde.

Das Problem: Der Vorschlag sah damals vor, dass Deutschland oder andere aufnah­me­be­reite Staaten voran­gehen und die Verein­barung direkt mit der Türkei schließen. Die neue Idee nun, die Verteilung über die gesamte EU laufen zu lassen, macht einen Erfolg unwahr­scheinlich. Die Crux bleibt nach wie vor, dass die meisten Staaten nicht zu einer Aufnahme bereit sind.

Räumung oder Verlegung? Das Zauberwort heißt „Relocation“. Nur, wer macht das eigentlich?

Viele Staaten betei­ligen sich noch heute nicht an der Verteilung, die im September letzten Jahres durch die EU beschlossen wurde. Durch den „Emergency Relocation Mechanism“ sollen innerhalb eines Jahres 160.000 Menschen zwischen den Staaten verteilt werden. Nach Infor­mation der Europäi­schen Kommission sind bis zum 29. März diesen Jahres erst 7015 Plätze in immerhin 22 Staaten bereit gestellt worden. Das sind gerade mal 4,38 Prozent der Zielzahl.

Für die Geflüch­teten in Idomeni gibt es kein eigenes Programm. Dennoch wird ihnen von UNHCR und der griechi­schen Regierung versprochen, dass sie bei einem freiwil­ligen Verlassen des Lagers eine Chance haben, über das Relocation-Programm doch noch in ihre Wunsch­staaten weiter vermittelt zu werden. Am 14. März hatte die griechische Regierung insgesamt 33.320 Migran­tInnen regis­triert. Die Zahl der Menschen, die durch die Grenz­sch­ließungen zum Monatsende festsitzen könnte, wird auf über 100.000 geschätzt. Bis März sind aus Griechenland erst 569 Geflüchtete in das Relocation Programm aufge­nommen worden. Auf Nachfrage erklärt Mark Camilleri, Policy and Inter­in­sti­tu­tional Relations Coordi­nator des European Asylum Support Office (EASO), Gründe seien der langsame Aufnah­me­prozess der Mitglieds­länder und dass nicht alle Geflüch­teten teilnah­me­be­rechtigt seien. Aller­dings wurde zur Unter­stützung zum 15. März ein Pilot-Projekt zur Regis­trierung durch EASO gestartet, was die griechische Regierung bisher abgelehnt hatte.

Ein weiterer Anreiz zum Verlassen des Camps soll die Unter­bringung in einem der großen Auffang­lager sein. Bis Mitte März wurden in Griechenland 14 neue Auffang­lager für 17.400 Menschen eröffnet, wie der neu gegründete Flücht­lings­kri­senstab kürzlich erklärte. Bisher war dies kaum notwendig, da die meisten Geflüch­teten nicht lange in Griechenland blieben. Eines dieser Lager in der Nähe Thessa­loniki konnte ich vor Ort besich­tigen.

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Die Infra­struktur des durch die Armee betrie­benen und für bis zu 4000 Personen ausge­legten Lagers kann es mit so manchem Notlager in Deutschland aufnehmen. In einigen Camps sollen die Zelte jedoch nicht wasser­dicht instal­liert sein. Die Essens­ver­sorgung ist zumindest besser als in Idomeni. Das Haupt­problem aber ist die mangelnde Perspektive: Kaum jemand kann sich vorstellen, dauerhaft in Griechenland zu bleiben. Dement­spre­chend finden auch kaum Integration, keine Durch­mi­schung, Wohnungs­ver­mittlung, keine Sprach­kurse oder Arbeits­markt­un­ter­stützung statt – ein Leben im Warteraum. Dennoch nehmen viele Familien mit kleinen oder kranken Kindern dieses Angebot wahr und beziehen die neuen Auffang­lager.

Anfällig für jede Hoffnung

Viele wollen sich damit nicht zufrieden geben. Sie wollen dennoch weiter nach Öster­reich, Deutschland, Schweden oder in die Nieder­lande reisen. Einige werden die von den Schleppern auch weiterhin angebo­tenen illegalen Routen in Anspruch nehmen. Viele wollen bleiben bis die Grenzen wieder aufge­macht werden. Die vor Ort aufge­baute Versor­gungs­in­fra­struktur und die mediale Aufmerk­samkeit machen ihnen Mut, dass sie dieses Ziel erreichen können. Dabei kommt es auch immer wieder zu öffent­lich­keits­wirk­samen Aktionen, Protesten am Grenzzaun oder auch zu Versuchen, in größerer Anzahl nach Norden zu ziehen.

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Einer dieser Versuche fand am 14. März statt. Unter dem Schlagwort #marchofhope zogen über 1000 Menschen durch einen reißenden Fluss im Westen von Idomeni auf die mazedo­nische Seite der Grenze. Dort wurden sie durch die mazedo­nische Polizei von Medien­ver­tre­te­rInnen isoliert, misshandelt und in der Folge ohne die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen oder einen Rechts­bei­stand zu konsul­tieren, nach Griechenland depor­tiert. Diese offen­sicht­liche Verletzung des Presse­rechts, der Genfer Flücht­lings­kon­vention und weiterer Konven­tionen wurde aber politisch weniger thema­ti­siert, als die Frage, wer die Geflüch­teten wie koordi­nierte. Wie üblich stand bald die These im Raum, dass alle Geflüch­teten von europäi­schen Helfenden aufge­sta­chelt worden seien. Ausgehend von rechten Hetzblättern verbreitete sich diese Sicht­weise und wurde bald im deutschen Mainstream als selbst­ver­ständlich darge­stellt.

Welchen Einfluss ein unter dem Pseudonym „Kommando Norbert Blüm“ verteiltes Flugblatt tatsächlich auf die Aktion hatte, kann nicht beurteilt werden. Die Aktion der Geflüch­teten, der vermutlich bald weitere folgen werden, zeigt nur erneut, wie verzweifelt die Lage vor Ort ist, aber auch wie politisch aufge­laden sie ist. Denn wohlge­merkt fordern viele der Geflüch­teten eben nicht, die Grenzen nur für sie zu öffnen, sondern dass das allgemein geschehen solle. Dieser Einsatz, für die Einhaltung des Schengen-Abkommens und einen für Perso­nen­verkehr geöff­neten europäi­schen Raum, zeigt wie absurd und aufge­laden die Flücht­lings­frage mittler­weile geworden ist. Da weder das „EU-Relocation-Programm“ in seiner jetzigen Form noch der „Merkel-Plan“ mit der Türkei funktio­nieren, solange sich weiter die meisten europäi­schen Länder gegen eine Aufnahme von Geflüch­teten sträuben, wird die Situation in Idomeni absehbar noch eine Weile so weiter gehen. Solange werden die Menschen weiter im Schlamm warten.

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