Burbach in Berlin – Ist sowas möglich?

Refugees welcome?  /  Foto cc-by-nc ekvidi / flickr

In Flücht­lings­un­ter­künften in Burbach, Bad Berleburg und Essen in Nordrhein-Westfalen (NRW) wurden Asylsu­chende durch Wachleute erniedrigt und misshandelt. Leider waren das keine „Ein­zel­fäl­le“ – auch wenn NRW-Innen­mi­nister Ralf Jäger (SPD) und der Heimbe­treiber versuchen, dies so darstellen. Auch in weiteren Städten ist von Misshand­lungs­fällen berichtet worden, jüngst in Hamburg.

Sind solche Missbrauchs­fälle durch die Struk­turen in der Berliner Flücht­lings­un­ter­bringung ausge­schlossen? Nein, das sind sie nicht.

Auswahl der Heimbe­treiber: Alle Unter­künfte in NRW, in denen Missbrauchs­fälle bekannt wurden, wurden von European Homecare betrieben. Dieser Betreiber ist in Berlin bislang nicht aktiv. Aktuell sind sechs Contai­nerdörfer am Stadtrand für Flücht­linge in Planung, von denen eins noch im Dezember dieses Jahr öffnen soll. European Homecare gehörte zunächst zum engeren Kreis an Inter­es­senten, der von der Senats­so­zi­al­ver­waltung zum internen Gespräch einge­laden wurde. Doch nach den bekannt gewor­denen Missbrauchs­vor­fällen in NRW, kommt European Homecare dafür nicht mehr in Betracht. Dies hat uns Sozial­se­nator Czaja in der Sitzung des Haupt­aus­schusses am 1. Oktober 2014 auf Nachfrage zugesi­chert und in der folgenden Plenar­sitzung noch einmal bekräftigt.

Quelle: Polizei
Quelle: Polizei

Über­prüfung des Wachper­sonals: Warum braucht es eigentlich Wachper­sonal für Flücht­lings­un­ter­künfte? Die traurige Antwort ist, dass es immer wieder gewalt­tätige Angriffe von Rechts­ra­di­kalen auf Flücht­lings­un­ter­künfte gibt. Auch kann die Kaser­nierung von Flücht­lingen in beengten Massen­un­ter­künften zu Aggres­sionen unter­ein­ander führen. Das Wachper­sonal von Flücht­lings­un­ter­künften wird in der Regel nicht (direkt) vom Betreiber gestellt, sondern extern von einer privaten Sicher­heits­firma einge­kauft. Dabei kann es sich auch um eine Tochter­firma des Heimbe­treibers handeln. Quali­fi­kation und Vorstrafen der Wachleute wurden in NRW weder vom Land bezie­hungs­weise den Kommunen, noch vom Betreiber über­prüft. Von Landes­seite gab es dazu auch keine Vorgaben. In Berlin gibt es zwar offiziell Vorgaben für die Quali­fi­kation des Wachper­sonals – unabhängig davon, ob sie nun beim Betreiber oder Subun­ter­nehmer angestellt sind – aber kontrol­liert wurde diese Eignung bislang nicht. Erst seit dem 1. Oktober müssen Heimbe­treiber nachweisen, dass alle Mitar­beiter*innen für die Tätigkeit geeignet sind. Dazu gehört auch die Vorlage eines polizei­lichen Führungs­zeug­nisses, das nicht älter als drei Monate ist.
Die in nordrhein-westfä­li­schen Unter­künften von European Homecare tätige private Sicher­heits­firma SKI ist in Berlin wohl nicht aktiv. Das in Berlin für die Flücht­lings­un­ter­künfte zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) wusste bis vor Kurzem aller­dings gar nicht, welche Sicher­heits­firmen in den Heimen aktiv sind und musste erst eine Abfrage bei den Heimbe­treibern machen.

Unzurei­chende Mindest­stan­dards: In Berlin gibt es im Gegensatz zu vielen anderen Bundes­ländern verwal­tungs­intern festge­legte Standards für Flücht­lings­un­ter­künfte. Doch diese Minimal­stan­dards sind unzurei­chend und bleiben an vielen Stellen unkonkret. Sie sind seit Jahren nicht grund­legend über­ar­beitet und an heutige Standards und Bedürf­nisse angepasst worden. Teilweise werden sie in den Verträgen des LAGeSo mit den Heimbe­treibern nach unten aufge­weicht. So findet sich in Betrei­ber­ver­trägen etwa die Klausel: „Die Mindest­an­for­de­rungen gelten nur einge­schränkt und werden mit dem LAGeSo abgestimmt.” Einige Betrei­ber­firmen versuchen zudem, diese Minimal­stan­dards syste­ma­tisch zu unter­schreiten, weil ihnen dies zusätz­liche versteckte Profite ermög­licht.

Fehlende und zahnlose Kontrollen: Die Kontrollen der Flücht­lings­un­ter­künfte sind auch in Berlin unzurei­chend. Bis Anfang 2014 hat das LAGeSo die Einrich­tungen gar nicht ernsthaft kontrol­liert. Die Sozial­be­hörde hatte bis dahin kein Personal für die Kontrolle der Sammel­un­ter­künfte abgestellt. Die margi­nalen Kontrollen waren nicht nachvoll­ziehbar, nicht vergleichbar und völlig intrans­parent. Auch die jetzigen Kontrollak­ti­vi­täten sind noch immer defizitär: Das LAGeSo geht zwar mittler­weile unange­meldet in die Unter­künfte und arbeitet dabei syste­ma­tisch eine Check­liste ab; aller­dings verlässt es sich dabei aussch­ließlich auf die Aussagen der Betrei­ber­firma. Hinweise und Beschwerden der Bewohner*innen werden dabei nicht aufge­nommen. Der Perso­nal­einsatz (Anzahl, Quali­fi­kation und Entlohnung) wurde bislang über­haupt nicht über­prüft. Verstöße gegen die Mindest­stan­dards wurden in der Vergan­genheit vom LAGeSo nicht geahndet. Von Seiten der Sozial­be­hörde gab es keine Sanktionen, keine Belegungs­stopps und keine Vertrags­strafen gegen­über den Heimbe­treibern. Auch sind neue Sammel­un­ter­künfte weiterhin an umstrittene private Betrei­ber­firmen wie die PeWoBe oder GIERSO vergeben worden.

Keine unabhängige Beschwer­de­stelle: In allen anderen sozialen Bereichen ist ein Beschwer­de­ma­na­gement gang und gäbe: im Kinder- und Jugend­hil­fe­be­reich, in Alters­heimen, in Pflege­ein­rich­tungen etc. – im Flücht­lings­be­reich jedoch nicht. Asylsu­chende werden rechtlos gehalten. In Berlin gibt es weder ein flächen­de­ckendes einrich­tungs­in­ternes Beschwer­de­ma­na­gement noch eine unabhängige träger­über­grei­fende Beschwer­de­stelle. Heimbe­wohner*innen und Flücht­lings­i­ni­tia­tiven können sich allen­falls an die zustän­digen Referats- und Abtei­lungs­leitung im LAGeSo wenden – sofern sie davon wissen. Denn einen Hinweis darauf sucht man vergeblich. Die Mitar­beiter*innen des Heims werden von den Bewohner*innen nicht als unabhängige Ansprech­person wahrge­nommen, wenn es Probleme mit dem Heimbe­treiber gibt.


Fazit:
Auch in Berlin sind Misshand­lungs­fälle von Asylsu­chenden nicht struk­turell ausge­schlossen. Die Vorfälle in NRW und anderswo hätten verhindert werden können,

wenn die Serio­sität und nicht der Preis über die Auswahl des Betreibers von Flücht­lings­un­ter­künften bestimmen würde;

wenn es bundesweit rechtlich vorge­schriebene Mindest­stan­dards auf hohem Niveau geben würde, die sich etwa an den Vorgaben der Bundes­ar­beits­ge­mein­schaft Wohnungs­lo­sen­hilfe (BAGW) für die ordnungs­recht­liche Unter­bringung von Wohnungs­losen orien­tieren;

wenn Land und Kommune ihren Aufsichts- und Kontroll­pflichten gegen­über den Heimbe­treibern nachkommen würden;

wenn Flücht­linge sich recht­zeitig an eine unabhängige Beschwer­de­stelle hätten wenden können, die diese Fälle aufnimmt und ihnen in einem trans­pa­renten Verfahren nachgeht.

Auch in Berlin gibt es noch viel zu tun für Sozial­se­nator und LAGeSo.

(auch erschienen hier)

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