Heute hat die Piratenfraktion beantragt, eine Aktuelle Stunde im Plenum mit dem Titel „Unter aller Würde – Substandards in Berliner Flüchtlingsunterkünften“ abzuhalten. Meine Begründung dafür in Folge. Es gilt das gesprochene Wort:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir haben uns hier schon häufig über fehlende Wohnungen und Unterbringungsplätze für Flüchtlinge unterhalten. Aufgrund der aktuellen Diskussion um die Situation in Not- und Sammelunterkünften für Flüchtlinge möchten wir mit ihnen heute gern über die Mindeststandards reden. Es gibt zu Recht Proteste gegen die Unterbringungssituation – wie kommt das? Schon im August warnte ich vor der Unterbringungssituation mit der dringlichen Bitte, sich um die Situation in den Unterkünften zu kümmern
Seit Jahren war absehbar, dass die Zahl der Asylsuchenden wieder steigen wird, weil die Zustände vierlerorts in der Welt schlimm sind. Der Senat hat es versäumt rechtzeitig zu planen und für qualitativ gute Unterkünfte zu sorgen. Diese Versäumnisse des Berliner Senats sollen die Flüchtlinge jetzt ausbaden. Das wollen wir nicht hinnehmen.
Der Senat setzt dabei auf die Sammelunterbringung in Massenunterkünften – die Bewohner nennen diese „Lager“. Erst seit Herbst 2012 kümmert sich der Senat um die Situation – dabei nur auf die Zahlen konzentriert, aber die Frage nach den Standards vor Ort außer Acht gelassen. Seit Herbst 2012 errichtet der Senat im Stadtgebiet hektisch Notunterkünfte für Flüchtlinge. Mit diesen Notunterkünften hat er nun Substandards in der Flüchtlingsunterbringung etabliert. Das heißt, die eigentlich geltenden Standards gelten dort nicht oder nur teilweise.
Anfangs wurde behauptet, die Notunterkünfte würden nur für drei Monate existieren. Aus drei Monaten wurden erst sechs Monate.
Mittlerweile bestehen einige Notunterkünfte seit über einem Jahr.
Seit über einem Jahr gibt es nun Substandards.
Seit über einem Jahr gibt es Unterkünfte ohne Verträge.
Nun sagt die zuständige Behörde, es gäbe ja auch mündliche Verträge. Seit wann machen wir das denn in Berlin denn „per Handschlag“?
Anfangs sagte der Senat noch, die Notunterkünfte würden nach und nach auf das allgemeine Standardniveau angehoben. Davon ist mittlerweile keine Rede mehr. Die Notunterkünfte mit ihren Substandards sind zu einer Dauereinrichtung in dieser Stadt geworden.
An der baulichen und personellen Ausstattung und den hygienischen Bedingungen ändert sich so gut wie nichts.
Doch auch die existierenden Mindeststandards selbst sind kritikwürdig. Der Piratenfraktion liegen dank IFG die Verträge mit den Betreibern von Unterkünften vor. Diese Verträge bleiben an vielen Stellen äußerst unkonkret. In den Unterkünften fehlt es an sanitären Anlagen und Infrastruktur wie Waschmaschinen. In den überfüllten Wohnheimen fehlt jede Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeit. Die Menschen „leben“ in beengten Räume teilweise nur durch einen Vorhang voneinander getrennt in einem gemeinsamen Raum. Zudem wird die Einhaltung der Anforderungen nicht kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert. Für die Betreiber besteht kein Anreiz, sich an irgendwelche Standards zu halten.
Natürlich – ich verstehe, wenn Sie sagen, es gibt dringlicheres…
Die taz berichtet heute, es werden bis Jahresende 700-750 Plätze fehlen. Das ist wichtig. Aber es geht nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität. Qualität bedeutet in diesem Fall ganz konkret: Menschenwürdige Lebensstandards.
Viele Flüchtlinge leben Monate oder gar Jahre lang in solchen Massenunterkünften.
Das Leben in Sammelunterkünften verhindert die Integration und es macht krank.
Ich schäme mich für solchen unwürdigen Sammelunterkünfte in Berlin.
Ich schäme mich, wenn wir Flüchtlinge in Berlin in solchen Notunterkünften empfangen.
Ich möchte unserem Sozialsenator Mario Czaja vorschlagen, sich öfter mal ein Bild von der Situation vor Ort in den Sammelunterkünften zu machen. Ich biete Ihnen gerne an, gemeinsam eine Notunterkunft mit Ihnen zu besuchen und dort ein ganzes Wochenende zu verbringen. Ich würde sehr gerne wissen, ob Sie danach anders über die Flüchtlingsunterkünfte in Berlin denken.
Wir würden gerne im Abgeordnetenhaus darüber sprechen, wie wir zu transparenten und einheitlichen Standards in den Not- und Sammelunterkünften auf hohem Niveau kommen.
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Zum Weiterlesen:
taz, 21.11.2013
Notunterkunft für Flüchtlinge in Berlin – Deutsch lernen schwer gemacht
Flüchtlinge in Berlin – Duschen nur vormittags
Kontrollen gab es eigentlich nicht