Angebot an Mario Czaja – Begründung Aktuelle Stunde zu Mindest­stan­dards in Flücht­lings­un­ter­künften

Heute hat die Piraten­fraktion beantragt, eine Aktuelle Stunde im Plenum mit dem Titel „Unter aller Würde – Substan­dards in Berliner Flücht­lings­un­ter­künf­ten“ abzuhalten. Meine Begründung dafür in Folge. Es gilt das gespro­chene Wort:

Liebe Kolle­ginnen und Kollegen,

wir haben uns hier schon häufig über fehlende Wohnungen und Unter­brin­gungs­plätze für Flücht­linge unter­halten. Aufgrund der aktuellen Diskussion um die Situation in Not- und  Sammel­un­ter­künften für Flücht­linge möchten wir mit ihnen heute gern über die Mindest­stan­dards reden. Es gibt zu Recht Proteste gegen die Unter­brin­gungs­si­tuation – wie kommt das? Schon im August warnte ich vor der Unter­brin­gungs­si­tuation mit der dring­lichen Bitte, sich um die Situation in den Unter­künften zu kümmern

Seit Jahren war absehbar, dass die Zahl der Asylsu­chenden wieder steigen wird, weil die Zustände vierlerorts in der Welt schlimm sind. Der Senat hat es versäumt recht­zeitig zu planen und für quali­tativ gute Unter­künfte zu sorgen. Diese Versäum­nisse des Berliner Senats sollen die Flücht­linge jetzt ausbaden. Das wollen wir nicht hinnehmen.

Der Senat setzt dabei auf die Sammel­un­ter­bringung in Massen­un­ter­künften – die Bewohner nennen diese „Lager“. Erst seit Herbst 2012 kümmert sich der Senat um die Situation – dabei nur auf die Zahlen konzen­triert, aber die Frage nach den Standards vor Ort außer Acht gelassen. Seit Herbst 2012 errichtet der Senat im Stadt­gebiet hektisch Notun­ter­künfte für Flücht­linge. Mit diesen Notun­ter­künften hat er nun Substan­dards in der Flücht­lings­un­ter­bringung etabliert. Das heißt, die eigentlich geltenden Standards gelten dort nicht oder nur teilweise.

Anfangs wurde behauptet, die Notun­ter­künfte würden nur für drei Monate existieren. Aus drei Monaten wurden erst sechs Monate.
Mittler­weile bestehen einige Notun­ter­künfte seit über einem Jahr. 
Seit über einem Jahr gibt es nun Substan­dards.
Seit über einem Jahr gibt es Unter­künfte ohne Verträge.
Nun sagt die zuständige Behörde, es gäbe ja auch münd­liche Verträge. Seit wann machen wir das denn in Berlin denn „per Handschlag“?

Anfangs sagte der Senat noch, die Notun­ter­künfte würden nach und nach auf das allge­meine Standard­niveau angehoben. Davon ist mittler­weile keine Rede mehr. Die Notun­ter­künfte mit ihren Substan­dards sind zu einer Dauer­ein­richtung in dieser Stadt geworden.
An der baulichen und perso­nellen Ausstattung und den hygie­ni­schen Bedin­gungen ändert sich so gut wie nichts.

Doch auch die existie­renden Mindest­stan­dards selbst sind kritik­würdig. Der Piraten­fraktion liegen dank IFG die Verträge mit den Betreibern von Unter­künften vor. Diese Verträge bleiben an vielen Stellen äußerst unkonkret. In den Unter­künften fehlt es an sanitären Anlagen und Infra­struktur wie Wasch­ma­schinen. In den über­füllten Wohnheimen fehlt jede Privat­sphäre und Rück­zugs­mög­lichkeit. Die Menschen „leben“ in beengten Räume teilweise nur durch einen Vorhang vonein­ander getrennt in einem gemein­samen Raum. Zudem wird die Einhaltung der Anfor­de­rungen nicht kontrol­liert und gegebe­nen­falls sanktio­niert. Für die Betreiber besteht kein Anreiz, sich an irgend­welche Standards zu halten.

Natürlich – ich verstehe, wenn Sie sagen, es gibt dring­li­cheres…
Die taz berichtet heute, es werden bis Jahresende 700-750 Plätze fehlen. Das ist wichtig. Aber es geht nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität. Qualität bedeutet in diesem Fall ganz konkret: Menschen­würdige Lebens­stan­dards.

Viele Flücht­linge leben Monate oder gar Jahre lang in solchen Massen­un­ter­künften.
Das Leben in Sammel­un­ter­künften verhindert die Integration und es macht krank.
Ich schäme mich für solchen unwür­digen Sammel­un­ter­künfte in Berlin.
Ich schäme mich, wenn wir Flücht­linge in Berlin in solchen Notun­ter­künften empfangen.

Ich möchte unserem Sozial­se­nator Mario Czaja vorschlagen, sich öfter mal ein Bild von der Situation vor Ort in den Sammel­un­ter­künften zu machen. Ich biete Ihnen gerne an, gemeinsam eine Notun­ter­kunft mit Ihnen zu besuchen und dort ein ganzes Wochenende zu verbringen. Ich würde sehr gerne wissen, ob Sie danach anders über die Flücht­lings­un­ter­künfte in Berlin denken.

Wir würden gerne im Abgeord­ne­tenhaus darüber sprechen, wie wir zu trans­pa­renten und einheit­lichen Standards in den Not- und Sammel­un­ter­künften auf hohem Niveau kommen.


Zum Weiter­lesen:

taz, 21.11.2013
Notun­ter­kunft für Flücht­linge in Berlin – Deutsch lernen schwer gemacht
Flücht­linge in Berlin – Duschen nur vormittags
Kontrollen gab es eigentlich nicht

rbb, 19.11.2013

Piraten-PM, 19.11.2013