Wie wollen wir Politik gestalten?

Nach aktuellen Umfragen sieht es so aus, als wenn ich in den nächsten Wochen ein Mandat als Abgeord­neter im Abgeord­ne­tenhaus der Stadt Berlin antreten darf. Neben großer Freude und auch ein bisschen Ehrfurcht mischt sich bei dem Gedanken daran auch immer die Frage nach den Struk­turen in der neu zu bildenden Piraten-Fraktion. Während in den etablierten Parteien die „Neuen“ in festen Struk­turen aufge­fangen werden und sich in der Regel an die bereits etablierten Regeln anpassen, liegt vor uns Piraten ein weites Feld an Optionen, Ideen für moralische Richt­linien, Ansprüchen von uns an uns selbst und von außen. Viele dieser Ideen und Regeln sind unter Piraten ohnehin schon gefühlter Konsens. Doch ein bloß gefühlter Konsens ist eine schwache Stütze. Es wird immer wieder zu Situa­tionen kommen, in denen wir als Ver- und Abgeordnete unter Druck geraten, Dinge zu tun, die mit unseren Idealen nicht vereinbar sind. Der Druck rührt dann nicht alleine von der Sachlage her, sondern auch vom politi­schen Mitbe­werber, von der Presse, der Öffent­lichkeit, Lobby­gruppen und womöglich anderen Piraten. Es ist dann ein Segen, wenn man sich auf Regeln berufen kann, zu denen man sich öffentlich vor der Wahl bekannt hat und man obendrein damit nicht alleine steht.

Daher habe ich mich dafür entschieden, den „Berliner Kodex“ mitzu­zeichnen. Der Kodex stellt eine Selbst­ver­pflichtung der Unter­zeich­nenden dar. Niemand soll sich genötigt fühlen, diesen zu unter­zeichnen, wenn er/sie sich mit der Intention nicht anfreunden kann. (Falls einzelne Formu­lie­rungen proble­ma­tisch erscheinen, kann man natürlich eine modif­zierte Version erstellen, unter­zeichnen und verlinken.) Ebenso soll Piraten, die diesen Kodex nicht unter­zeichnen und denen anderer Parteien nicht pauschal unter­stellt werden, dass sie den damit zum Ausdruck gebrachten Zielen entgegen stehen. Der Kodex soll vor allem uns dienen, nicht andere diffa­mieren. Er soll uns als Ver- und Abgeord­neten den Rücken stärken. Es werden in den kommenden Wochen eine Reihe von enorm schwie­rigen Entschei­dungen auf uns zukommen, auf die wir uns im Detail nicht vorbe­reiten können und die unsere Über­zeu­gungen auf den Prüf­stand stellen werden. Wenn man dann von der Presse in die Mangel genommen wird, warum man denn partout auf geheime Sitzungen verzichtet und womöglich damit das Ruder aus der Hand gäbe, kann man entgegnen: „Das sind die Regeln, nach denen ich spiele, ich habe mich vor der Wahl zu ihnen bekannt, sie sind öffentlich, vielleicht haben mich einige auch ihret­wegen gewählt und ich bin nicht allein damit.“

Wir Piraten sind keine besseren Menschen und werden ganz sicher auch nicht als bessere Politiker (was auch immer man darunter verstehen mag) geboren. Wir brauchen und schaffen uns Struk­turen, die uns ein angenehmes und mit unserem Gewissen zu verein­ba­rendes politi­sches Arbeiten ermög­lichen (auch wenn dies in gewissen Situa­tionen Nachteile für uns hat). Wir fordern unsere ganze Partei und die Bürger dazu auf, uns zu kontrol­lieren, auf unsere Entschei­dungen Einfluss zu nehmen und diese zu disku­tieren. Der Kodex soll dazu beitragen und auch zu Diskus­sionen anregen. Niemand wird an den Pranger gestellt, wenn er unter Verdacht gerät, sich mal nicht daran gehalten zu haben. Aber kritische Fragen werden dann kommen und sind auch erwünscht.

Als Pragma­tiker gebe ich gerne auch ganz ehrlich zu, dass ich denke, dass der Kodex und das Befolgen dieser Selbst­ver­pflichtung uns politisch nützen wird. Die Geschichte unserer jungen Partei und der Wahlkampf in Berlin haben gezeigt, dass die Menschen Ehrlichkeit und das Einge­ständnis von Fehlern gegen­über scheinbar perfekten, glatt­ge­bü­gelten Polit­profis vorziehen. Viele Menschen sind von Politikern enttäuscht. Viele halten „die da oben“ für korrupt und haben wenig Vertrauen in die Politik. Das Vertrauen in unsere Politiker kann man durch einen solchen Kodex stärken. Andere Parteien haben etwas ähnliches meines Wissens nach nicht. Dort sagt man höchstens, das sei ja eh selbst­ver­ständlich – handelt aber womöglich ganz anders. Die Piraten können hier für Wähler und Presse deutlich, öffentlich und schriftlich zeigen, dass sie anders sind. Langfristig wird sich also, wenn wir es schaffen unseren eigenen, selbst­ge­steckten Zielen auch wirklich zu folgen, unsere Art der Politik durch­setzen. Die Piraten sind nicht nur angetreten, um Gesetz X und Richt­linie Y zu verändern, sondern sie standen von Beginn an für ein neues Politi­k­an­gebot, welches auf seiner eigenen Fehlbarkeit und dem Angebot an den Bürger, diese Defizite kennen zu lernen und auszu­bessern, basiert. Dieses Angebot ist das, was wir den Menschen bieten können und das, was unsere Chance für den über­satten Politik­markt Deutschland und vielleicht auch darüber hinaus ist.

Die Angaben, die man präventiv veröf­fent­lichen soll, wurden übrigens größten­teils von Trans­pa­rency Inter­na­tional raubmord­ko­piert (deren Inhalte die Piraten ja vielfach unter­stützt haben). Ich danke Lena, Andreas und vielen anderen für die Erarbeitung des Kodex.