Am Donnerstag, den 26. Mai 2016, im Plenum des Abgeordnetenhaus gehaltene Rede zur Priorität der Piratenfraktion „Kein Mensch ist illegal! Legalisierung von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus“.
Wir sprechen viel über die Situation von Menschen im Asylverfahren oder im Duldungsstatus. Viele Menschen sind aber auch ganz ohne regulären Aufenthaltsstatus hier. Auch diese gehören zur Zuständigkeit des Landes.
Ohne Papiere kann man aus den unterschiedlichsten Gründen sein: durch die Scheidung von einem gewalttätigen Menschen, durch eine nicht gewährte Verlängerung des Titels etc. Schätzungen des BAMF gehen von bis zu 500.000 Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus für das Jahr 2010 aus, andere gehen noch höher. Die Ausgrenzungen durch die Asylrechtsverschärfungen haben die Zahl noch steigen lassen. Viele dieser Menschen sind schon Jahre oder Jahrzehnte hier.
Das Problem ist: Sie leben hier nicht nur im Schatten und dürfen nicht wählen, nein, Illegalisierte leben in ständiger Unsicherheit. Sie müssen Angst davor haben, von der Polizei entdeckt, inhaftiert und abgeschoben zu werden. Als Arbeitnehmer*innen ohne Aufenthaltspapiere sind sie in besonderem Maße der Ausbeutung im Arbeitsverhältnis ausgesetzt, weil sie nicht auf die normalen Schutzmechanismen des Arbeitsrechts zurückgreifen können. Ähnlich ausbeuterische Verhältnisse herrschen hinsichtlich existierender Wohnverhältnisse. Eine Stadtstudie aus Hamburg zeigt, dass Illegalisierte oft in beengten Wohnverhältnissen mit geringem Wohnkomfort zu überhöhten Quadratmeterpreisen leben (aus: Diakonie Hamburg, Leben ohne Papiere. Eine empirische Studie zur Lebenssituation von Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere in Hamburg, 2009).
Werden Menschen ohne Papiere krank, sind sie vom regulären Gesundheitssystem ausgeschlossen. Vertreter*innen staatlicher, also auch gesundheitlicher Behörden, müssen Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus, die sich medizinisch behandeln lassen, melden. Denn nach § 87 Abs. 2 AufenthG haben öffentliche Stellen die Pflicht, Informationen über den fehlenden rechtmäßigen Status eines Ausländers an die Ausländerbehörde zu übermitteln, wenn sie davon Kenntnis erlangen. Doch aus Angst vor einer Registrierung und Abschiebung verzichten Menschen ohne gültige Papiere auf Vorsorgeuntersuchungen und Krankenhausaufenthalte.
Ein ähnliches Verhaltensmuster lässt sich hinsichtlich der Beschulung von illegalisierten Kindern feststellen. Eigentlich ist unstrittig, dass alle Kinder ein Recht auf Bildung haben – auch solche ohne Status, da Kinder keine eigenen Migrationsentscheidungen treffen können. Der Verwirklichung dieses Rechts stand in der Vergangenheit die Übermittlungspflicht nach § 87 Abs. 2 AufenthG entgegen. Daher führt das Leben in der Illegalität dazu, dass Kinder aus Angst vor Entdeckung ihres irregulären Aufenthalts – trotz bestehender allgemeiner Schulpflicht – nicht zur Schule geschickt werden.
Statt Menschen ohne regulärem Aufenthaltsstatus zu helfen, werden sie oft noch als Problem oder als Gefahr betrachtet. Doch sie stellen keine Gefahr für andere dar, sondern leiden unter dieser Situation!
Deutschland braucht eine Legalisierungsoffensive. Wir müssen Menschen, die hier leben, wohnen, arbeiten, endlich aus dem Schatten holen und an der Gesellschaft teilhaben lassen. Dabei kann auch mit einem Stichtagsdatum gearbeitet werden. Berlin muss sich über den Bundesrat für eine solche Regelung einsetzen.
Selbst wenn man grundsätzlich die Position vertritt, alle Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus abschieben zu wollen, muss man sich eingestehen, dass dies nicht realistisch ist und dass eine Legalisierung keine Einladung ist, sondern schlicht Realitäten anerkennt. Außerdem bedeutet eine Legalisierung eine erhebliche Entlastung von Behörden und Polizei: Migrationskontrolle ist arbeitsintensiv und kostenaufwendig. In Deutschland werden in großem Umfang polizeiliche Kapazitäten durch Ermittlungen bei aufenthaltsrechtlichen Straftaten gebunden. Da irreguläre Migration in Deutschland strafbar ist und die Polizei nach dem Legalitätsprinzip alle Straftaten verfolgen muss, ist sie immer dann zum Handeln gezwungen, wenn sie im Zuge ihrer Arbeit auf Personen ohne oder mit zweifelhaften aufenthaltslegitimierenden Dokumenten stößt. Das ist teuer und verursacht meist unsinnige Arbeit, die sich einsparen ließe. Auch andere Behörden, sowie medizinische Dienste, könnten entlastet werden.
Übrigens würden wir damit nicht alleine dastehen. In vielen Staaten der Welt sind mehr oder weniger regelmäßige Legalisierungsprogramme für irreguläre Migrant*innen an der Tagesordnung: Von Argentinien bis in die Vereinigten Staaten. Die Legalisierung irregulärer Migration ist etwa ein struktureller Bestandteil italienischer Migrationspolitik. Allein die Amnestie (sanatoria) aus dem Jahr 2002 hat 630.000 Wanderarbeiter*innen eine legale Aufenthaltserlaubnis verschafft. Auch in Deutschland gab es verdeckte Legalisierungen, z.B. über die EU-Osterweiterung. Insofern braucht es nur Mut, um den richtigen Schritt zu tun: gesellschaftliche Realitäten anzuerkennen, Menschen Sicherheit vor Ausbeutung zu geben und Behörden zu entlasten. Berlin kann hier die Rolle eines Vorreiters einnehmen.
Deswegen solidarisiere ich mich mit allen Illegalisierten, mit allen Sans Papier, mit allen unsichtbar Gemachten, egal ob hier oder in anderen Ländern. Ich trage stolz die Aufschrift „Kein Mensch ist illegal!“ und rufe dazu auf, diese Forderung mit Leben zu füllen und sich auf allen Ebenen für die Legalisierung von Menschen einzusetzen.