2015-11-02 Sie suchen nach dem Morgen Cover

Zwischen Hilfe und Kitsch

„Ich glaube aller­dings, daß Versuche, politi­schen Protest mit der Popular-Music, also mit der Unter­hal­tungs­musik zusam­men­zu­bringen, deshalb zum Scheitern verur­teilt sind, weil die ganze Sphäre der Unter­hal­tungs­musik – auch wo sie irgendwie moder­nis­tisch sich aufputzt – so mit dem Waren­cha­rakter, mit dem Amusement, mit dem Schielen nach dem Konsum, verbunden ist, daß also Versuche, dem eine verän­derte Funktion zu geben, ganz äußerlich bleiben. Und ich muss sagen, wenn also dann irgend­jemand sich hinstellt und auf eine im Grunde doch schnul­zen­hafte Musik dann irgend­welche Dinge darüber singt, daß Vietnam nicht zu ertragen sei, dann finde ich, daß gerade dieser Song nicht zu ertragen ist, weil er, indem er das Entsetz­liche noch irgendwie konsu­mierbar macht, schließlich auch daraus noch etwas wie Konsum­qua­li­täten heraus­presst.“

– Theodor W. Adorno

Politische Musik ist ein schwie­riges Unter­fangen und in der Regel zum Scheitern verur­teilt. Am Besten hat dies wohl Adorno thema­ti­siert mit Bezug auf die Musik gegen der Vietnam­krieg. Angeblich soll er sogar schon linken Musiker*innen im Traum erschienen sein, woraufhin diese an einer halbjäh­rigen Schreib­blo­ckade gelitten haben. Doch es gibt sie, die linken Musiker*innen die mit ihren Liedern im besten Fall Jugend­liche politi­sieren – wie die Bands Egotronic oder Kraftklub (z.B. Schüsse in die Luft) – und so den Spagat schaffen zwischen dem Anbieten eines Produkts und dem Zeigen notwen­diger Haltung.

Das aktuellste politische Thema ist die Flücht­lings­krise: Tausende Menschen sterben im Mittelmeer und auf ihrem Weg nach Europa bei ihrem Versuch, Elend, Krieg und funda­men­ta­lis­ti­schem Terror zu entkommen. Dass die wenigen, die über­haupt in Europa ankommen, diese beschwer­liche Reise auf sich nehmen müssen, dass die noch wenigeren die es nach Deutschland schaffen unter der täglichen Angst eines rassis­ti­schen Anschlags leiden müssen, sind Tatsachen, die an Schreck­lichkeit kaum zu über­bieten sind und auf die sich Adornos Aussage definitiv über­tragen lässt.

Gerade ich – als weißer Deutscher – sollte diesem Thema mit der nötigen Distanz begegnen, ebenso wie Bob Geldorf und Campino es an Weihnachten besser getan hätten. Doch sitzen bleiben und Menschen sterben lassen darf auch keine Lösung sein. Im Kapita­lismus kann – und das ist die traurige Wahrheit – Geld Leben retten und Menschen helfen. Wenn Bob Geldorf und Campino Aufmerk­samkeit und damit Spenden für Ebola generieren, CDs verkaufen, deren Erlös gespendet wird, ist dabei viel zu kriti­sieren, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Kritik zu üben, ist richtig und notwendig, aber Schritte zu gehen, ist ebenso wichtig.

Dabei hat sich in den letzten Monaten viel getan. Menschen helfen Dutzende Stunden täglich am LAGeSo, an Notun­ter­künften und anderen Stationen wo Flücht­linge ankommen und auf Hilfe angewiesen sind oder sammeln Spenden. Kommu­nal­po­li­tiker*innen rotieren bei dem Versuch, die Lebens­be­din­gungen der Ankom­menden zu verbessern. Die Kirchen schrauben ihr Engagement für Geflüchtete rauf, kümmern sich um die, die der Staat vergessen hat und eröffnen Flücht­lings­kirchen. Und Musiker*innen singen. Das akzep­tiere ich.

Genau aus diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, eine Anfrage positiv zu beant­worten, bei der ich erst Skepsis hatte. Einer der Menschen, die versuchen ihren Anteil über Musik zu leisten, ist Donato Plögert. Sein Engagement, als Künstler gesell­schaft­liche Themen aufzu­greifen und zu verar­beiten, ist glaub­würdig und auch nicht neu. Außerdem ist er mir von verschie­denen Seiten empfohlen worden.[1] Daher habe ich – Adorno zum Trotz – zugesagt, ihn bei seinem musika­li­schen Unter­fangen zu unter­stützen und habe einen kleinen Gastpart auf der im November erschei­nenden CD „Sie suchen nach dem Morgen“. Das Geld aus dem Erlös der Karten für das Relea­se­konzert und der CDs wird zu gleichen Teilen dem Berliner Flücht­lingsrat und dem Begeg­nungschor „Ber­liner singen mit Flücht­lin­gen“ zu Gute kommen. Ich würde mich freuen, euch dort zu treffen. Die Release Party zur CD wird am
– Montag, den 02.11.2015 um 20 Uhr (Einlass ab 19 Uhr)
– im ‚Wilde Oscar‘, Niebuhr­straße 59, 10629 Berlin
sein. Mehr Infos gibt es auf der Facebook-Seite. Und hier gehts zum Video und zu Infos zur Bestellung.

2015-11-02 Sie suchen nach dem Morgen Cover

[1] Der beste Grund, die CD zu machen, ist mir erst nachher einge­fallen. Die Melodie ist ja von Christian Bruhn. Der ist neben seinem aus Piraten­sicht wenig durch­wach­senen Engagement für die GEMA bekannt für Songs wie ‚2 kleine Italiener‘, ‚Marmor, Stein und Eisen bricht‘ und ‚Wunder gibt es immer wieder‘, sowie den Werbe­klas­sikern von Shamtu Shampoo, Milka und Perwoll. Außerdem hat er aber auch noch den Soundtrack des Lieblings­helden meiner Kindheit kompo­niert: ‚Captain Future‘. Hört mal rein! 😉

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