Meine piratigen Oster­ferien: Frankfurt, Regensburg, München, Wien

Ich kombi­niere ja reisen immer ganz gerne mit politi­schem Sight­seeing. Wenn es klappt, besuche ich gerne Piraten oder ähnliche Gruppen. Diesmal bot sich der Süden an. Ich hatte eine Einladung zum Besuch der Presse­kon­ferenz der Wahlal­lianz Europa Anders bekommen, worüber ich hier bereits berichtete, und außerdem großes Interesse, mir vor Ort die Situation der frisch gewählten kommu­nalen Vertre­te­rInnen in Bayern anzuschauen.

Los ging die Reise in NRW, wo ich Ostern verbrachte. Da hängen zwar viele Piraten­plakate, nur für die Europawahl habe ich in den Städten, in denen ich war, keine gesehen. Der Fokus liegt auf den Kommu­nal­wahlen, die zeitgleich am 25. Mai statt­finden. Das ist etwas schade, da alle anderen Parteien eine bunte Mischung ausge­hängt haben und der Eindruck entsteht, die Piraten würden gar nicht antreten. Den Vogel schießen die Linken ab, die unter anderem in Bonn den Stopp des Pyrami­den­neubaus verlangen:

In Frankfurt hängt noch gar nichts. Die Stadt ist – soweit ich das gesehen habe – piratenplakatfrei. Eine Kommunalwahl steht ja auch nicht an. Seit dem 12.4. hätte plakatiert werden dürfen. Bestellt wurde wohl schon, allerdings nicht die Bundesplakate. Politisch ist es dafür bunter: Bereits seit Frühjahr 2011 haben wir dort zwei Vertreter: Martin Kliehm und Herbert Förster. Diese bildeten zusammen mit Luigi Brillante von der Europa­liste und Jutta Ditfurth eine „Bunte Fraktion“. Nach kurzer Kennen­lern­phase aller­dings entschied man sich, ohne Frau Ditfurth als „ELF Piraten“ weiter zu machen. Die Fraktion arbeitet fleißig und stabil vor sich hin. Sie hat ein vierstel­liges monat­liches Budget und beschäftigt mehrere Mitar­bei­te­rInnen, unter anderem unseren Bundes­vor­sit­zenden. Die drei Frakti­ons­mit­glieder haben jeweils ihre eigenen Schwer­punkte. Die politische Landschaft ist spannend: Das Rathaus ist schwarz-grün beherrscht. Der Oberbür­ger­meister ist jedoch von der SPD. Peter Feldmann setzte sich 2012 gegen den CDU-Rechtsaußen Boris Rhein durch.


Martin war am Mittwoch so nett, mir zu erklären, welche Auswirkungen das auf die politische Situation hat. Außerdem zeigte er mir die Fraktionsräume und ich begleitete ihn dafür auf eine Veranstaltung, die anlässlich eines Besuchs von Jugendliche aus den Frankfurter Partnerstädten Tel Aviv und Eskişehir durchgeführt wurde.

Abends ging es dann weiter nach Regensburg, Bezirk Oberpfalz. Dort wurde am 18. März Tina Lorenz, die auch OB-Kandi­datin war, als Zweit­plat­zierte über ausrei­chend Panaschier­stimmen in den Rat der Stadt gewählt. (Hier alle frischen Manda­ta­rInnen der Piraten in Bayern) Sie hat nun sowohl die Option einer gemein­samen Fraktion mit anderen Ratsmen­schen, als auch der Regie­rungs­bildung mit SPD, Grünen und anderen. Der neue OB wird am 1. Mai vereidigt und ist von der SPD.

Der vorherige war von der CSU. Die SPD hat zudem im Rat mächtig zugelegt mit 17 von 50 Sitzen. (Hier das Gesamtergebnis in Übersicht) Zusammen mit den Grünen kommen sie auf 22 von notwen­digen 26 Sitzen. Daher sprechen sie gerade mit den anderen Akteuren, um eine breite Mehrheit zu erreichen. Doch auch wenn Tina ihre (und unsere) Themen mit gutem Gefühl in einem gemein­samen Regie­rungs­vertrag platzieren könnte, würde das noch nicht bedeuten, dass sie angemessen arbeiten könnte. Zwar wäre sie dann Vertre­terin im Regie­rungs­aus­schuss und könnte dort darauf achten, dass die Regie­rungs­mehrheit das Programm auch umsetzt und könnte in der monat­lichen Ratssitzung auch dement­spre­chend abstimmen. Jedoch hätte sie als Nicht-Frakti­ons­mit­glied keinen Sitz in den Ausschüssen, wo die eigent­liche Arbeit passiert. Nach der aktuellen GO hätte sie noch nicht einmal expli­zites Rederecht. (Hier die GO und als Bonus auch gleich die von München, Nürnberg und Burgkunst­stadt.) Dies ist dies nicht schriftlich festgelegt. In Berlin ist das zwar auch nicht im Detail geregelt, die Verfassung sieht jedoch in Art.44(2) explizit vor: „Frak­ti­onslose Abgeordnete haben das Recht, in den Ausschüssen ohne Stimm­recht mitzu­ar­beiten.“ Das ist wohl ohne Rederecht nicht wirklich möglich. Da das aber keine Sicherheit böte, wäre es wünschenswert, sich einer Zweier­gruppe – zB. den Linken oder FDP – anzusch­ließen. Dann nimmt sie aber nicht mehr am Koali­ti­ons­aus­schuss teil und droht aus der öffent­lichen Wahrnehmung zu verschwinden – es sei denn, der Name Piraten taucht im Namen der Fraktion auf, sie bekommt gute Ausschüsse zugewiesen und zumindest temporär den Frakti­ons­vorsitz. Die anderen brauchen Tina sogar auch, da drei Vertreter für den Frakti­ons­status gebraucht werden. Es sei denn die Minde­stanzahl wird auf zwei gesenkt, wonach es momentan aussieht. Ihr seht, es ist alles etwas kompli­ziert und zusammen mit Jan hatten wir genug Gesprächsstoff für Abend und den nächsten Morgen, wo ich dann auch den Bezirks­ge­ne­ral­se­kretär Joffrey kennen­lernte. Zwar hängen auch in Regensburg noch keine Plakate, obwohl dies seit dem 11.4. möglich ist, das hat aber (noch) logis­tische Gründe. Donnerstag mittags ging es dann weiter nach München, wo ich den frisch gewählten Stadtrat Thomas Ranft wieder traf. Mit Thomas hatte ich bereits ein längeres How to Parliament gemacht. Jetzt kann er darauf natürlich voll zurück­greifen.(lacht)

In Wirklichkeit verfügt Thomas schon über einige Erfahrung, er arbeitete nämlich jahrelang für die FDP-Fraktion im bayeri­schen Landtag. Die Situation ist dort komplett anders. Die SPD stellt seit gefühlten Jahrhun­derten den OB und wurde diesmal abgestraft. Der Ude-Nachfolger Dieter Reiter setzte sich zwar noch gegen seinen Konkur­renten von der CSU durch, die rot-grüne Ratsmehrheit ist jedoch futsch. An einer Heilung durch Piraten­stimmen hat Thomas auch kein Interesse, ebenso wie die meisten anderen Räte. Insofern läuft es – falls die SPD nicht doch noch entgegen aller Versprechen und Ansagen eine große Koalition mit der CSU eingeht – auf wechselnde Mehrheit im Rat heraus. Das kommt Thomas sehr gelegen, weil man so als kleine Gruppe am meisten Einfluss nehmen kann und das lästige „Wir lehnen das jetzt ab, weil ihr nicht zu uns gehört.“ wegfällt. Die SPD hat sich durch ihr arrogantes Auftreten in den letzten Jahren in München nicht viele Freunde gemacht. Das fällt ihr nun bei und nach der Wahl auf die Füße. Freuen tut das auch Thomas´ Fraktion. Zusammen mit der FDP und der Wähler­gruppe HUT sind sie zu fünft und haben schon so gut wie alles wichtige unter­ein­ander geklärt von Ausschüssen über Vorsitz und Räum­lich­keiten. In den drei Räumen werden nämlich zwei städ­tische Mitar­bei­te­rInnen die Fraktion bei ihrer Arbeit unter­stützen, ein eigenes Ausschreiben und Anstellen wie in vielen anderen Bundes­ländern fällt in Bayern weg. Die Minde­stanzahl für Fraktionen beträgt vier, sodass den drei FDPlern die Zusam­men­arbeit mit den Piraten und HUT wichtig ist, wobei man auch als Ausschuss­ge­mein­schaft eigene Mittel erhält. Das gemeinsame Programm gefällt mir gut. Thomas ist hochmo­ti­viert, hat Ahnung von den Themen, hat seine Schwer­punkte im Blick und einen sehr guten Draht zu seinen Kolle­gInnen und den Mitar­bei­te­rInnen. Da macht zuschauen Spaß und lässt hoffen, dass in Zukunft wieder mehr Münchner Piraten der Arbeit im Rat folgen werden, denn beim Kommu­naltreffen waren leider nur 3 Inter­es­sierte anwesend. Und das obwohl Thomas dort nicht nur viele aktuelle politische Themen anschnitt, sondern auch von einen handfesten lokalen Skandal berichtete. Der schei­dende Bürger­meister hinter­lässt nämlich ein juris­ti­sches Schreiben im Rathaus, welches der neuen Fraktion den Status aberkennen will. Es geht vor allem um den Namen und die (mögli­cher­weise nicht ganz identi­schen?) gemein­samen politi­schen Ziele. Ihr könnt euch vorstellen wie absurd das ist, zumal die Grünen seit langem mit der Rosa Liste zusammen fraktio­nieren und das auch im Namen ausdrücken. http://gruene-fraktion-muenchen.de/ Gefreut hat mich aber, dass zumindest in München munter Wahlplakate für die die EU-Wahl hängen, auch wenn es wieder nicht die gemein­samen Kampagne ist. Kontro­verse Themen wie die Plaka­t­auswahl und die Situation auf Bundes­ebene konnte ich Donnerstag nachmittag auch noch andis­ku­tieren.

Am Freitag musste ich dann in aller Herrgotts­frühe (ist ja Bayern hier) weiter nach Wien. Um 12 Uhr fand dort die Presse­kon­ferenz statt, auf der Bernd Riexinger und ich dem Wahlbündnis Europa Anders unsere Grüße über­sandten und der Spitzen­kan­didat Martin Ehren­hauser seine Agenda vorstellte. Hier ist die PM zur PK.


Sie tauchte auch in mehreren Medien auf, unter anderem in der größten Nachrich­ten­sendung ZIB und auch in deutschen Medien.
Europa Anders ist ein Wahlbündnis, was so in Deutschland aus formalen Gründen nicht möglich wäre. Aufgrund andau­ernden mittel­mäßigen Wahler­folgs und sinkender Motivation und aufgrund von zahlreichen Bitten von außen haben sich die öster­rei­chi­schen Piraten im Januar dazu entschieden, selbst nicht zu den EU-Wahlen anzutreten, sondern eine Liste zu unter­stützen, die außerdem von der Kommu­nis­ti­schen Partei Öster­reichs, der Gruppe „Der Wandel“ und sogenannten Unabhän­gigen (also nicht partei­ge­bun­denen) unter­stützt wird.
Das System ist gut ausge­dacht: Auf den Listen­plätzen 1 und 2 sind Unabhängige, danach kommen von den drei Parteien aufge­stellte Kandi­die­rende (die natürlich auch partei­u­n­ab­hängig sein können) im Dreier-Reiß­ver­schluss­ver­fahren. Die Koordi­nation der Bewegung über­nimmt ein Neunerrat (drei je Partei) namens „Kampa­gnenteam, in dem Entschei­dungen im Konsens getroffen werden.
Auf Platz 1 landete – wie von vielen erwartet – Martin Ehren­hauser. Ehren­hauser war seit 2009 für die Liste Hans-Peter Martin im EU-Parlament, welche damals über 17 % bekamen und drei Mandate errang. HPM tritt diesmal selbst nicht wieder an. Platz 3 wird daher in Öster­reich frei bleiben. Er schei­terte vor allem an sich selbst. Aber sicher auch an Martin Ehren­hauser, der den Korrup­ti­ons­auf­decker mit Korrup­ti­ons­vor­würfen konfron­tierte. Hier das Video mit Martin und die Antwort von HPM darauf.
Auf Platz 2 ist Ulli Fuchs. Insgesamt sind mehr als die Hälfte der Plätze weiblich besetzt. Ehrlich gesagt: Diese Betonung, es sei ein Bündnis von drei Parteien und Unabhän­gigen(!), habe ich am Anfang so ein bisschen als PR-Trick abgetan, unter anderem um die Namen der Parteien etwas weniger
Mittler­weile habe ich jedoch selbst viele Nicht-Partei­mit­glieder kennen­ge­lernt, die Europa Anders sehr intensiv und ambitio­niert unter­stützen. Ohne sie wäre das Bündnis nicht das, was es schon ist. Insofern revidiere ich meinen ersten Eindruck da umfänglich.

Kleine Anmerkung am Rande: Es wurde ja schon von bösen Zungen behauptet, ich hätte mir die Koope­ration ausge­dacht. Das ehrt mich natürlich, stimmt aber leider nicht. Ich hatte nur das Vergnügen, bei der entschei­denden Sitzung der Piraten zusammen mit Julia Reda und Bernhard Hayden die Sitzungs­leitung innezu­haben. Die Stimmung ist großartig, die Medien­auf­merk­samkeit ist krass, vor allem seit Martin in der Sendung „Die Presse­stun­de“ zu unruhig war, aufstand und spontan ein Volks­be­gehren gegen die Haftung für die Hypo Alpe Adria ausar­beitete. Die Krone – eine eigentlich eher wenig links orien­tierte, boule­vardeske Zeitung mit Millio­nen­auflage – berichtet fast jeden Tag über den Boykott und die Aktionen in den Ländern. Dadurch ist Martins Bekanntheit bei der durch­schnitt­lichen Bevöl­kerung um ein Vielfaches gestiegen und das von Europa Anders gleich mit.

Zur aktuellen Stimmung schreibt Juli:

„Drei Welten prallen aufein­ander. Drei Parteien mit komplett verschie­denen Mitglie­der­zahlen, Alter­ss­truk­turen und Entschei­dungs­fin­dungs­pro­zessen entscheiden sich, aufgrund über­ein­stim­mender Vorstel­lungen über die Zukunft Europas, eine Wahlal­lianz zu bilden. Partei­freie sollen auch noch Mitreden dürfen. – Keine einfache Aufga­ben­stellung.
Wir sind aber im Endeffekt zu einer ziemlich effizi­enten Lösung gekommen: Ein gemein­samer Koope­ra­ti­ons­vertrag wurde ausge­ar­beitet. Anfang März gab es eine offizielle Grün­dungs­ver­an­staltung, quasi ein erster Beschnuppern der Mitglieder aller drei Parteien und Unabhän­giger. Dieses Event war vor allem dafür wichtig, ein Gemein­schafts­ge­fühl zu bilden und dafür zu sorgen, dass sich Menschen, die zukünftig Zusam­men­ar­beiten sollen, kennen­lernen. Ein Kampa­gnenteam aus jeweils drei Personen aus den Parteien ist zuständig für Organi­sa­to­ri­sches, Presse und interne Kommu­ni­kation. In Wien gibt es ein kleines gemein­sames Büro.
Die KPÖ gibt es seit 90 Jahren, uns Piraten seit 2006 und den Wandel seit 2012. Entspre­chend ist natürlich auch die Wahlkampf­routine der jewei­ligen Parteien eine völlig unter­schied­liche. Das ist aber alles andere als ein Nachteil. Jahrzehnte lange Erfahrung beim Plaka­tieren und Flyern gepaart mit frischen, innova­tiven Ideen und kreativen Aktivist*innen kann schon was.
Derzeit tourt unser Spitzen­kan­didat in einem Hippie-Bus durch’s ganze Land und schläft nachts auf der Straße, unter­stützt von einem rotie­renden Team. Frisch­ge­ba­ckenes wird vorbei­ge­bracht, weil man im Radio von der Sache erfahren hat und Menschen kommen mit ihren Instru­menten vorbei und machen Musik. Gleich­zeitig werden unermüdlich Plakat­ständer in verschie­denen Städten aufge­stellt und das ganze Land besti­ckert. Sobald irgendwo das Wort „an­ders“ fällt, hört man irgendwen „Eu­ro­pa“ sagen. – Ich denke, das beschreibt die Stimmung ganz gut. Es funktio­niert, trotz anfäng­lichem Chaos.“

Die drei Gruppen arbeiten auch aus meiner Sicht sehr gut und konstruktiv zusammen. Ich hoffe, das geht auch in Zukunft so weiter, zB bei der Frage eines zukünf­tigen Frakti­ons­bildung. Denn Martin Ehren­hauser war die letzten Jahre als Frakti­ons­loser MdEP tätig. Die KPÖ möchte natürlich Teil der Fraktion der European Left werden und wir Piraten waren ja bekanntlich bis jetzt bei der Fraktion Greens / EFA. (Die Bilanz der Piraten im EU-Parlament lässt sich hier nachlesen.) Diese Diskussion wird noch spannend, wird aber vernünf­ti­ger­weise erst nach der Wahl geführt werden.

Das Programm von Europa Anders ist übrigens kurz und knackig und gefällt mir wirklich sehr gut. (Es gibt nur einen Satz, der auf den 2. Blick ziemlich furchtbar ist, wer findet ihn?)
Nach der Presse­kon­ferenz gab es abends eine Diskus­si­ons­ver­an­staltung in Linz. Danach sprach ich noch mit vielen Anwesenden und unter­hielt mich dabei auch umfang­reich über Themen wie das Bedin­gungslose Grund­ein­kommen mit dem sehr offenen und inter­es­sierten Gesprächs­partner Bernd Riexinger. Danach besuchte ich noch einmal Martin in seiner mobilen Schlaf­ge­le­genheit.

Am Sonntag fuhr ich dann wieder nach Berlin zurück. Es bleiben viele, viele Bilder. Hochmo­ti­vierte und weniger motivierte Menschen. Das Gefühl, dass es immer wieder richtig ist, zu reisen und über den Tellerrand zu schauen und einige spannende neue Bekannt­schaften. Unseren Mandats­trä­ge­rInnen in Bayern wünsche ich eine gute Einar­bei­tungszeit, Europa Anders viel Erfolg im Wahlkampf und ebenso allen deutschen Piraten im Wahlkampf für Mandate auf kommu­naler und Europaebene.