Meine erste parla­men­ta­rische Rede

Heute fand die konsti­tu­ie­rende Sitzung des Berliner Abgeord­ne­ten­hauses statt. Neben vielen harmo­ni­schen Punkten fand auch eine Abstimmung über die neue (alte) Geschäfts­ordnung des Berliner Abgeord­ne­ten­hauses statt. In der Fraktion herrschte unter­schied­liche Meinung (ab Z.68) über die Notwen­digkeit, Unzufrie­denheit über Teile der Geschäfts­ordnung in der konsti­tu­ie­renden Sitzung zu thema­ti­sieren. Einige von uns entschieden sich, Ände­rungs­an­träge auszu­ar­beiten und einzu­reichen (siehe hier). Die verschie­denen Auffas­sungen führten letzt­endlich auch zu Zustimmung, Ablehnung und Enthal­tungen in der Abstimmung über die zu beschließende Geschäfts­ordnung seitens der Fraktion. Die Reden von Pavel Mayer und mir gibt es bereits auf Youtube. Ich habe das Plenar­pro­tokoll meiner Rede dazu gestellt.

Rede Fabio Reinhardt: „Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!

Die Piraten sind neu im Parlament. Wir hatten wenig Zeit und widrige Bedin­gungen, um uns auf diese Sitzung vorzu­be­reiten. Aller­dings haben wir uns intensiv mit der Geschäfts­ordnung des Abgeord­ne­ten­hauses beschäftigt, und – das soll keinen Affront gegen das Hohe Haus darstellen – wir haben festge­stellt, dass wir mit der Geschäfts­ordnung in dieser Form nicht in vernünf­tiger Form arbeiten können.

Wir haben einige Probleme identi­fi­ziert und diese in zwei Bereiche einge­teilt. Diese haben wir in zwei Blöcken von Anträgen auf den Ihnen zur Verfügung stehenden Schrift­stücken aufge­ar­beitet. Es geht zum einen um die Ungleich­be­handlung kleinerer Fraktionen gegen­über großen, im zweiten Block geht es um die Stellung einzelner Abgeord­neter. Die Vorstellung der Anträge wird durch mich und meinen Kollegen Pavel Mayer erfolgen. Ich werde im Folgenden auf die Gleich­stellung der Opposition und die Stellung der kleinen Fraktionen im Hohen Haus eingehen.

Die Gleich­stellung der Opposition und das Recht auf politische Chancen­gleichheit ist in Artikel 38 Abs. 3 VvB geregelt. Diese Gleich­stellung ist bei den Finanzen in der Opposi­ti­ons­zulage zu sehen, die den Opposi­ti­ons­frak­tionen zusteht. Des Weiteren ist in der Verfassung von Berlin zu erkennen, dass die kleinen Fraktionen in jedem Ausschuss vertreten sein müssen, was zeigt, dass die kleinen Fraktionen im Grunde den gleichen Status wie die großen bekommen sollen. Leider ist dies an mehreren Stellen in der Geschäfts­ordnung so nicht zu finden. Dazu möchte ich zwei Punkte nennen:

Der erste ist § 12 Abs. 1 der Geschäfts­ordnung. Dort steht, dass nur zwei Vizeprä­si­denten nach d’Hondt gewählt werden. Dies bedeutet konkret, dass uns sowie zwei weiteren Fraktionen, bezie­hungs­weise einer weiteren Fraktion, wenn man den Präsi­denten dazuzählt, kein Vizeprä­sident zusteht. Das empfinden wir als Ungleich­be­handlung. Dies möchten wir gern ändern. Uns ist bewusst, dass wir dazu auch die Verfassung von Berlin in Artikel 41 Abs. 2 ändern müssen. Wichtig ist dies, damit wir in Arbeits­zu­sam­men­hängen vertreten sind, und um die Gleich­stellung der Fraktionen auszu­drücken. Ich weise darauf hin, dass das Präsidium einen über­par­tei­lichen Charakter hat und keine Partei- oder Frakti­ons­po­litik machen soll. Diese Regelung ist übrigens im Bundestag und auch in mehreren anderen Landes­par­la­menten üblich und sollte bei uns eine Selbst­ver­ständ­lichkeit darstellen.

Ich weise auf einen anderen Paragrafen hin. Das ist § 56 Abs. 1 der Geschäfts­ordnung. Darin geht es um die Einbe­rufung von Sonder­sit­zungen. Geregelt ist, dass 20 Prozent der Abgeord­neten eine Sonder­sitzung fordern können. Das bedeutet, dass drei der hier vertre­tenen Fraktionen eine Sonder­sitzung beantragen können, zwei weitere nicht. Wir empfinden dies als Ungleich­be­handlung und möchten diesen Artikel ändern. Notwendig ist dies zur Wahrnehmung unserer unmit­tel­baren Verfas­sungs­auf­gaben nach Artikel 40 Abs. 2 VvB.

Es ist uns wichtig, an dieser Stelle eine Positio­nierung vorzu­nehmen. Es geht uns nicht darum, dass die Piraten­fraktion eine Sonder­stellung möchte, sondern wir möchten gleich­be­rechtigt agieren können. Dies uns ist wichtig für die Wahrnehmung unserer Aufgaben, die uns vom Bürger über­tragen wurden. Deshalb bitte ich darum, dass diesen Anträgen zugestimmt wird, und gebe weiter an meinen Kollegen Pavel Mayer, der den zweiten Block vorstellen wird.“

Pavels Rede ist hier in ihrer ursprüng­lichen längeren Fassung zu lesen, da er sie im Plenum aus Rück­sicht nicht in Gänze hielt.

Rede Pavel Mayer: „Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolle­ginnen und Kollegen, werte Gäste,

wir hätten uns lieber erst einmal einen Eindruck von der Geschäfts­ordnung in Aktion verschafft, bevor wir mit Ände­rungs­an­trägen kommen, aber diese Geschäfts­ordnung geht für Piraten mal so gar nicht.

Ich bin entsetzt, wie wenig Rechte nach dieser Geschäfts­ordnung der einzelne Abgeordnete hat. Das betrifft nicht nur einzelne frakti­onslose Abgeordnete, sondern jeden einzelnen von ihnen, liebe Kollegen.

Mit dieser Geschäfts­ordnung sprechen wir uns selbst gegen­seitig das Misstrauen aus.

Das Verständnis der Piraten von Demokratie, auch von parla­men­ta­ri­scher Demokratie, sieht anders aus. Wir können diese Geschäfts­ordnung auch nicht mit dem in Deckung bringen, was wir in der Verfassung von Berlin lesen.

Artikel 45 sagt: “Die Rechte der einzelnen Abgeord­neten können nur insoweit beschränkt werden, wie es für die gemein­schaft­liche Ausübung der Mitglied­schaft im Parlament notwendig ist.”

Diese Geschäfts­ordnung geht weit darüber hinaus.

Das wird beson­deres klar, wenn man sich die Rechte “frak­ti­ons­loser Abgeord­ne­ter” ansieht. Allein schon der Begriff “frak­ti­ons­loser Abgeord­ne­ten” weckt hier sicher bei jedem die Vorstellung von einem Abgeord­neten zweiter Klasse.

Ist ihnen auch klar, liebe Kollegen, dass jeder von ihnen hier im Haus als einzelner Abgeord­neter genau so in seinen Rechten beschnitten ist, wenn er einer Fraktion angehört? Sie sind sogar schlimmer dran: Was können nach dieser Geschäfts­ordnung als Abgeord­neter noch tun, wenn ihnen der Segen des Frakti­ons­vor­stands oder der Fraktion versagt wird?

Wozu das führt, wissen sie zu genau.

Artikel 38 (4) der Verfassung von Berlin sagt, dass sie an Weisungen nicht gebunden sind.

Faktisch führt diese Geschäfts­ordnung zu einem Mandat, was von einem impera­tiven Mandat nur schwer zu unter­scheiden ist.

Das kann ja wohl nicht der Sinn der Sache sein.

Was nun? Alles in Tonne? Das wäre wohl vermessen.

Wir schlagen in unserem zweiten Ände­rungs­antrag vor, gerade einmal acht Sätze zu verändern – die es zugegeben in sich haben.

Jeder einzelne Abgeordnete soll das Recht erhalten, im Parlament Anträge zu stellen und zu reden, ohne dafür die Erlaubnis der Fraktion zu benö­tigen.

Dass die Geschäfts­ordnung dem einzelnen Abgeord­neten dieses elementare Recht versagt, ist für mich unerträglich. Dabei ist egal, wie häufig dieses Recht in einer gesunden Fraktion über­haupt genutzt würde.

Ganz grund­sätzlich wollen wir, dass – bis auf wenige Ausnahmen – überall da, wo bisher von “frak­ti­ons­losen Abgeord­ne­ten” die Rede war, zukünftig von “ein­zelnen Abgeord­ne­ten” gesprochen wird.

Auch sollen nicht nur Fraktionen, sondern auch parla­men­ta­rische Gruppen und einzelne Abgeordnete das Recht haben, vollbe­rechtigt in Ausschüssen mitzu­ar­beiten.

Wir erwarten nicht, dass unsere weitrei­chende Ände­rungs­an­träge hier und heute beschlossen werden, dafür konnten sie die Anträge nicht ausrei­chend prüfen. Es sei denn, sie sind jetzt so begeistert, dass sie das alles sofort haben wollen.

Ansonsten möchten wir, dass diese Anträge in den zustän­digen Ausschüssen beraten werden.

Das heisst aber nicht, dass die Probleme auf die lange Bank geschoben werden können.

Mit dieser alten Geschäfts­ordnung, möchte ich keinen Tag länger arbeiten müssen, als unbedingt notwendig, und damit es schneller voran geht, werden wir wohl Organ­klage gegen diese Geschäfts­ordnung erheben.

Sie alle sind herzlich einge­laden, uns dabei zu unter­stützen. Ich hoffe aber, dass wir gemeinsam in den Ausschüssen schneller zum Ziel kommen.

Und unter uns gesagt: Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Ände­rungs­vor­schläge die Funkti­ons­fä­higkeit des Parla­ments nennenswert beein­träch­tigen werden. Ich halte uns alle für erwachsene Menschen, die eine gute Arbeit machen wollen. Das kommt in der vorlie­genden Geschäfts­ordnung leider nicht zum Ausdruck.

Dennoch freue mich auf die nächsten fünf Jahre spannender Zusam­men­arbeit mit Ihnen. Vielen Dank ihre Aufmerk­samkeit.“