Spiel, Satz, Eigentor

Nur wenige Tage, nachdem uns neue Wikileaks Cables darüber infor­mierten, dass Renate Künast sich bereits 2009 auf eine mögliche Koalition mit der CDU auf Bundes­ebene vorbe­reitete, fällt ebendiese Frau Künast heute erneut durch sehr inter­essante Äuße­rungen auf. Auf der heutigen Befragung der Spitzen­kan­di­daten durch die IHK wurde sie nach Links- und Piraten­partei als möglichen Koali­ti­ons­op­tionen gefragt. Der zweite Teil ihrer Antwort ist wohl weniger spannend. Vermutlich auf das Image der verbre­che­ri­schen, außerhalb der Gesell­schaft stehenden Seeräuber anspielend, sagte sie, man könne auch Piraten gewiss „re­so­zia­li­sie­ren“. Das kann man natürlich kriti­sieren, da man ja vom politi­schen Mitbe­werber durchaus auch etwas Respekt erwarten kann.
Renate Künast will die Piraten resozia­li­sieren. Das Audio-Zitat. by Resocia­lizer

Aber wesentlich erhel­lender ist da schon der erste Teil der Antwort. Der lautete wie folgt:

„[Wir können] mit den Piraten koalieren, um sie ein bisschen mehr ins Bürgertum zu ziehen, damit sie bei der nächsten Wahl in Berlin nicht mehr antreten und durch­kommen.“

Offen­sichtlich sieht Künast ihre Partei schon im Bürgertum angekommen. Das an sich ist ja auch völlig ok, schließt sie ja auch bis zur Berlin-Wahl eine Koalition mit der CDU explizit nicht aus. Spannend ist aber doch, dass sie anscheinend der Meinung zu sein scheint, dass diese Bürger­lichkeit bei der Bevöl­kerung nicht gut ankommt. Ansonsten wäre es ja nur schwer zu erklären, warum sie der Meinung ist, dass eine ins Bürgertum gerückte Piraten­partei bei der nächsten Wahl „nicht mehr antreten und durch­kommen“ wird.

Nun ist eine Koalition Piraten-Grüne anhand der letzten Umfra­ge­er­geb­nisse nicht besonders wahrscheinlich und dass ausge­rechnet die Grünen die Piraten ins Bürgertum ziehen, erst recht nicht. Aber Künast spricht offen­sichtlich, ohne es zu wollen, einen eigenen wunden Punkt an. Und zwar die Vorahnung, dass der konser­vative Wahlkampf der Grünen bei der eigenen Basis nicht gut ankommt und auch nicht beim eigenen Wähler – wonach es momentan aussieht – und dass die Piraten diese Lücke füllen werden. Wenn das so ist, ist das Ziel klar: Die „Verbür­ger­li­chung“, was auch immer man darunter verstehen mag, nicht annehmen. Ich glaube auch nicht, dass dies den Piraten sonderlich schwer fallen wird. Trotzdem wird es natürlich eine große Heraus­for­derung, das reguläre Pensum einer Fraktion im Abgeord­ne­tenhaus zu erfüllen und gleich­zeitig den progres­siven, basis­nahen Charakter der Bewegung zu erhalten. Aber ohne Heraus­for­de­rungen wäre das Leben schließlich nur halb so spannend. Wie die Grünen ihre lösen, müssen sie selbst schauen…

5 Kommentare zu “Spiel, Satz, Eigentor

  1. Ich finde es im Übrigen sehr erhellend, dass die SPON-Kamarilla die WikiLeaks-Sachen gar nicht erwähnt und die „Resozialisierung“ in einem Nebensatz als Scherz abtut, während an einigen Stellen im Internet ein nicht zu überhörender Shitstorm tobt. Da sitzen wohl für ausgewogenen Journalismus ein paar Grüne (zuviel) in deren Redaktion.
    Ich begreife die Piraten momentan als eine Bürgerrechtsbewegung (korrigiere mich bitte, wenn ich da falsch liege!). Insofern ist der Begriff „Bürger“ in der Diskussion soundso sehr doppeldeutig besetzt. Wenn ich mit meiner Einschätzung aber richtig liege, dann ist die Künastsche Einlassung schon sehr entlarvend. Immerhin will sie Euch zu sich ziehen. Ihre eigene Sicht des Terminus „im Bürgertum“ hätte dann nichts mehr mit Bürgerrechten zu tun.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.